Vom Menschenkörper und seiner Verletzlichkeit

„Cranko Re-Flexions“ als Zusammenarbeit des Stuttgarter Figurentheaters mit dem Ballett

Stuttgart, 23/11/2007

Cranko Moves Stuttgart: Da bleibt auch das FITZ!, das Stuttgarter Zentrum für Figurentheater, nicht außen vor und kooperiert mit dem Stuttgarter Ballett. Hartmut Regitz hat sich mit der Theaterleiterin Katja Spiess über die Gründe ihrer Mitbeteiligung unterhalten. 

Frage: Das FITZ! zeigt seit 21. November im Zentrum für Figurentheater „Cranko Re-Flexions“, ein Projekt von Antje Töpfer und Florian Feisel. Warum und wie ist es dazu gekommen? 

Katja Spiess: Thorsten Kreissig, Mitinitiator des Cranko-Festivals, wünschte sich eine Ausstrahlung auf die ganze Stadt. Von vielen Kontakten und Projektideen sind nach der Absage von „Herzrasen“ zwei Projekte geblieben: die „Zeitsprünge“ von Bridget Breiner in Zusammenarbeit mit dem Kunstmuseum Stuttgart und die „Cranko Re-Flexions“ mit FigurenspielerInnen aus Stuttgart und Berlin sowie einem Tänzer des Stuttgarter Balletts.

Frage: Im Untertitel nennt sich das Projekt allerdings ein Pas de deux für einen Tänzer. 

Katja Spiess: Im Grunde handelt es sich um ein Solo-Stück, da aber im Zentrum der Aufführung eine Auseinandersetzung zwischen menschlichen und künstlichen Körpern steht, sind ja eigentlich zwei präsent – wobei man sich das nicht so vorstellen darf, dass eine voll ausgestaltete menschenähnliche Marionette mit im Spiel ist, sondern eine große Gliederpuppe, die erst ganz am Schluss vollständig zusammengesetzt auf der Bühne erscheint.

Frage: Wie kann das geschehen? 

Katja Spiess: Antje Töpfer und Florian Feisel haben nach etwas gesucht, was sozusagen das Montageprinzip Hans Bellmers aufnimmt, seine Kugelgelenke aber durch magnetische Kugeln ersetzt. Dadurch lassen sich die einzelnen Körperteile immer wieder zusammensetzen, auseinandernehmen und neu kombinieren. Das Ganze ist kein Versuch, eine Puppe zu verlebendigen, sondern setzt den Tänzer in Relation zu etwas, was zunächst sehr konstruiert daherkommt: eine Art Schöpfungsgeschichte also, wenn man so will, ein anderer Pygmalion-Effekt. 

Frage: Der mehrdeutige Titel hat einen Cranko-Bezug, hat irgendetwas mit Erinnerungen zu tun, Spiegelungen und Beugungen. 

Katja Spiess: Der Titel spielt mit verschiedenen Bedeutungsebenen. Am meisten hat es natürlich mit Spiegelungen zu tun. Kreissig hat die Vorgänger-Produktion „Pandora Frequenz“ gesehen, in der es um das Thema „Künstliche Frau“ ging, und wollte dieses Spielprinzip mit Crankos Biografie verknüpfen. Schließlich hat Cranko in seiner Jugend einmal Puppentheater gemacht. 

Frage: Inwieweit beziehen sich die „Cranko Re-Flexions“ auf „Reflections“, ein Stück, das Cranko einst choreografiert hat? 

Katja Spiess: Nicht oder doch nur wenig. Bei dem Ballett handelt es sich offensichtlich um eine Narziss- und Echo-Geschichte. Doch das Narziss-Motiv hat wiederum viel mit den Spiegelungen zu tun, und diesen Anknüpfungspunkt haben beide dann einfach aufgenommen und damit gespielt, weil der Titel letztlich auch auf bestimmte Bewegungsmuster im Ballett Bezug nimmt. 

Frage: Mit Kleist und Schlemmer hat das Mensch-und-Kunstfigur-Projekt nichts zu tun? Auch mit Gerhard Bohner nicht, der in „Schwarz Weiß Zeigen“ etwas Ähnliches versucht hat. 

Katja Spiess: Wie gesagt, hat die Figur mehr mit Bellmer zu schaffen als mit Schlemmer. Doch das Prinzip des konstruierten Körpers, wie es im Bauhaus diskutiert worden ist, spielt auch hier eine nicht eben unwichtige Rolle. 

Frage: Der Tänzer ist Tomas Danhel, ein in Polen aufgewachsener Tscheche. Inwieweit wird in dem Pas de deux getanzt? 

Katja Spiess: Nicht im klassischen Sinne. Aber Bewegungen spielen bei dem Stück eine wichtige Rolle. Danhel ist allein auf der Bühne und arbeitet weniger mit der Puppe als mit ihren Versatzstücken, die am Ende den künstlerischen Körper ergeben, und spielt mit dem, was sie an Ausdruck mitbringen. 

Frage: Er macht also auch Menschen-Unmögliches? 

Katja Spiess: In der Tat. Und der Perfektion, die Kleist der Marionette zuschreibt, ist hier nichts zu merken. Im Gegenteil. Wenn am Ende die Puppe „perfekt“ ist, hat sie nicht die Überlegenheit, die wir aus dem Kleist-Essay her erkennen. Sie bleibt ein Homunkulus, ein merkwürdig steifes Artefakt, was aber in seinem Projektionspotential, wenn es in seinen Einzelteilen erscheint, viel stärker ist als am Schluss als ein Ganzes. 

Frage: Ist die Produktion „einmalig“ oder verbleibt sie, als Auslöser einer längerfristigen Auseinandersetzung, im Repertoire? 

Katja Spiess: Schwer zu sagen, aber es gibt zunächst einmal fünf Vorstellungen in unserem Haus. Wenn die Durchmischung des Ballett- und des Figurentheaterpublikum so erfolgt, wie wir das natürlich von dieser Produktion erhoffen, wird es sicher auch eine Wiederaufnahme geben.

Links: www.fitz-stuttgart.de www.stuttgart-ballet.de 

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