Von Licht umströmte Körper

Wunderbar vielseitiger und qualitätvoller Premieren-Auftakt mit dem Dresden SemperOper Ballett

Dresden, 17/11/2006

So als programmatische Vorankündigung wirkte der Titel des ersten Premierenabends vom Dresden SemperOper Ballett mit „Wiedergeburt und Auferstehung“ wie eine Explosivladung. Schließlich können vorauseilende Böllerschüsse zur Premiere auch kräftig einschlagen. Doch nun ist es der befreiende Salut allgemeiner Hochstimmung geworden, markiert den „Beginn einer neuen Ära“, wie Intendant Gerd Uecker nach der Premiere sagte. Und William Forsythe setzte dem gleich noch ein Sahnehäubchen obenauf, indem er von „the finest Company in Germany“ sprach. Was ihm als Wertung natürlich zusteht; wir aber sollten vorerst mit Zuordnungen noch etwas bescheiden bleiben.

Und zugleich himmelhoch jauchzen, was das für eine herrliche Company ist. Mit so unterschiedlichen, individuell geprägten Tänzern, dass es kaum möglich schien, sie würden nach etwas mehr als drei Monaten Zusammenarbeit ein Ballett wie „Thema und Variationen“ von George Balanchine mehr als nur akzeptabel auf die Bühne bringen. Haben sie aber, und das mit reichlich Selbstbewusstsein und Können, ohne Fehl und Tadel, mit der bemerkenswerten Präsenz der beiden Ersten Solisten Yumiko Takeshima und Jiří Bubeníček. Eine Huldigung von und für Balanchine zum Finalsatz aus der Suite für Orchester Nr. 3 von Tschaikowsky vor dem berühmten lichtblauen Hintergrund, flankiert von dekorativen Säulen der Semperoper-Konzertvariante, dazu klassisch assoziierende Kostüme von Frauke Schernau, die das edle Ambiente der Saalausstattung des Hauses geschickt aufnehmen. Und zum Schlussapplaus als Krönung Patricia Neary, die für die Einstudierung sorgte – das Erscheinungsbild einer sich permanent verjüngenden Balanchine-Muse.

Übrigens dürfte es ein gutes Omen für den Start vom Dresden SemperOper Ballett sein, dass auf den Tag genau vor 79 Jahren, am 12. November 1927, das „Russische Ballett Diaghileff“ im Opernhaus der damaligen Sächsischen Staatstheater gastierte. Und zum Programm gehörten von G. Balantschine (so die damalige Schreibweise) „Der Triumph des Neptun“ sowie „La Chatte“. In der „Neptun“-Choreografie, eine „englische Pantomime in 10 Bildern“, wirkte der erst 23-Jährige selbst mit als „Ein Neger…. Georges Balantschine“.

Im krassen Gegensatz zur festlichen, aber nicht gänzlich entrückten Wahrnehmung von „Thema und Variationen“, wo manche ins Schwärmen geraten, wirft „Enemy In The Figure“ von William Forsythe mit der verstörenden Musik von Thom Willems den Besucher unausweichlich auf sich selbst zurück. Dieses szenische Gefüge aus Bewegung, individuell geführtem Licht und martialischen Klangfolgen dampft wie eine alles verschlingende Lokomotive auf einen zu, und man steht auf den Schienen, erlebt mit pochendem Herzen die Bedrohung, ist erlöst, wenn die Gefahr langsam ausschwingt wie ein Pendel. Aber mit dem hintergründigen, stärker werdenden Nachgrollen bleibt die Ahnung der latenten, nicht zu verdrängenden Beunruhigung, Instabilität. Wie überhaupt nichts beständig, im Gleichgewicht ist in diesem Raum, der gleichsam mit den Körpern atmet, wo sich Bewegungen im Dunkel auflösen, fürs Publikum nur noch peripher zu erfassen, unsichtbar und dennoch denkbar sind.

All diese Formen und Strukturen, die Konstellation von Tänzern und Raum, ihre Körpersprache, das Licht des weiter geschobenen Scheinwerfers oder das zu Wellen aufgeschlagene Seil verändern die eigene Wahrnehmung. Man ist irritiert von dem, was verschwindet, sucht Sinn im Anrennen, Umkreisen, im schwingenden Trio, in der gebauscht-aufgedrehten Erscheinung vom Schwarzen Mann. Und dabei zählt eigentlich nur, was es mit dir macht, welche Empfindungen, Gedanken ausgelöst werden. Keine Frage, dafür braucht es hervorragende, intelligente Tänzer, und es ist bewundernswert, welches Potenzial außergewöhnlicher Darsteller Ballettchef Aaron Watkin da zusammengeführt hat, wie viel Bewegungsqualität und Persönlichkeit jeder von ihnen einbringt. Allein schon dieses Duett mit Muriel Romero und Randy Castillo nimmt einem den Atem; da sage einer, Tanz sei nicht spannend oder gar ein Auslaufmodell. Es ist eine Lüge.

Wenn die aufgewühlten oder auch geschockten Zuschauer sich in der erneuten Pause etwas regeneriert haben, dann erwartet sie mit der Uraufführung von „Das Verschwundene“ („The Disappeared“) des neuen Hauschoreografen David Dawson eine intensive, lyrische Handschrift, die man wie ein gutes Buch wiederholt „lesen“, wie ein stimmiges Nachsinnen in sich aufrufen möchte. Dawson schafft in Zwiesprache mit Musik von Arvo Pärt sensible, behutsame Bilder, in denen unsichtbare Trennwände im Raum entstehen, ein Aufeinanderzugehen und sich Abwenden von Licht umströmten Körpern, die einsame Suche nach sich selbst, nach dem, was nicht zu benennen ist. Diese Bildsprache assoziiert einen in sich ruhenden und zugleich aufrührenden Tanz von Schwänen, eine Landschaft in blauer Stunde mit verlorenen Wesen. Der Eindruck ergibt sich aus der Art, wie beredt der britische Choreograf, der zuvor Hauschoreograf des Het Nationale Ballet in Amsterdam war, im gestischen Reichtum der Arme und Hände ist. Da lassen sich verletzte, abgewinkelte, lahme Flügel erahnen, sprechen Hände in wiederkehrender Symbolik. Das wird von allen wunderbar getanzt, und dennoch spürt man sehr genau, dass beispielsweise Yumiko Takeshima, die mit der Bewegungssprache von Dawson bestens vertraut ist, stimmiger damit umgeht; sie hat diese Abstraktion und unangestrengte Klarheit, die seinen Arbeiten offenbar eigen ist. Für uns ist es die erste Begegnung mit ihm in Dresden, und auf weitere kann man sich freuen.

Nicht zu vergessen, dass die Sächsische Staatskapelle an diesem kontrastreichen Abend unter der musikalischen Leitung von David Coleman besonders eindringlich mit dem „Silentium“ von Arvo Pärt aus „Tabula Rasa“ zu erleben ist. Es beglückt, wenn sich solche musikalischen Qualitäten im Tanz finden, und Dresdens berühmter Streicherklang in so inniger Weise erlebbar wird. Beim Auftakt mit der „Gala-Einlage“ zu Musik von Daniel-Francois-Esprit Auber als Extra-Premierenbonbon ist in dieser Hinsicht zunächst Zweifel aufgekommen. Der „Grand Pas Classique“ in der Choreografie von Aaron Watkin nach Victor Gsovsky führt mit Elena Vostrotina und Dmitry Semionov ausgezeichnete Tänzer in einer sympathischen Gegensätzlichkeit vor, aber für die Ohren hätte etwas differenzierteres Musizieren mehr Freude gebracht. Zum Schluss noch mal, und das offenbar in Überstimmung mit dem wunderbaren Publikum der Premiere, der entscheidende, himmelhoch jauchzende Satz: Was für eine herrliche Company!

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