Ermöglicherin der Crankoschen Genieflüge

Zum achtzigsten Geburtstag von Anne Woolliams

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Stuttgart, 30/07/2006

Sie war Tänzerin, Lehrerin, Ballettmeisterin, Künstlerische Direktorin und Administratorin (was der Duden als Verwalterin übersetzt). So beginnt die Kurzbiografie von Anne Woolliams, die am 3. August 1926 in Folkstone/England geboren wurde und am 8. Juli 1999 in Canterbury starb (und im nahen Folkstone beigesetzt wurde). In diesen Tagen hätte sie also ihren achtzigsten Geburtstag feiern können. Genau rechtzeitig ist jetzt im K. Kieser Verlag ihr englischsprachiges Buch „Method of Classical Ballet“ erschienen, herausgegeben nach ihren Aufzeichnungen von Akiko Yuzurihara, einer ihrer Schülerinnen (München 2006, 309 Seiten, Euro 48,-). Es bietet ganze zwei Fotos: auf der Titel- und auf der Rückseite des Einbands und versteht sich als eine Theorie und Methodologie des klassischen Balletts, die gründlich beschrieben, analysiert und erklärt werden – im Anschluss an ihr 1973 in Stuttgart veröffentlichtes Buch „Ballettsaal“.

Mit John Cranko zusammen hat sie das Stuttgarter Ballett und ab 1964 dann die Stuttgarter Ballettschule aufgebaut. Als Cranko 1973 starb, hätte sie wohl seine Nachfolgerin werden können, doch sie erklärte dem damaligen Kultusminister von Baden-Württemberg, dem Intendanten und Dieter Gräfe: „Ich habe nicht den Wunsch, als Johns Nachfolger nominiert zu werden. Ich bin überzeugt, dass ich nie würdig wäre, ihm nachzufolgen. Denn es ist meine Meinung, dass für die weitere Entwicklung der Kompanie ein erstklassiger Choreograf benötigt wird, und es ist nicht mein Wunsch, als Direktor zu fungieren.“ Das ist ein bemerkenswertes Statement hinsichtlich ihrer weiteren Karriere in Australien, der Schweiz und als Künstlerische Direktorin des Wiener Staatsopernballetts. Sie war die ideale Tandem-Partnerin für Cranko und hat sich als solche balletthistorische Verdienste erworben – sozusagen als Ermöglicherin für Crankos kreative Genieflüge. Weswegen man sie weniger mit Ninette de Valois oder Marie Rambert vergleichen wird, sondern eher mit Iwanow an der Seite Petipas (auch wenn sie nie dessen choreografischen Ehrgeiz besaß).

Hoch interessant lesen sich die im Anhang ihres Buches abgedruckten Fußnoten. Darunter findet sich auch ein Brief, den Woolliams am 31. Mai 1964 an ihren Vater schrieb. Darin berichtet sie über eine ungewöhnlich stressige Woche in Stuttgart und kommt dann auf eine Anfrage Fonteyns aus London zu sprechen: „Margot möchte gern den ganzen Romeo für ihre November-Gala im Drury Lane. Sie will Julia tanzen, Erik Bruhn den Romeo und Nurejew den Mercutio, zusammen mit allen anderen der Stuttgarter Besetzung. Doch John ist dagegen, denn er will nicht, dass wir als ‚Vehikel‘ dienen. Vielleicht ist ja seine instinktive Politik richtig, aber ich kann mir nicht helfen, sie zu bedauern. Sie hat nie zuvor eine ganze Kompanie mit einem dreiaktigen Ballett für ihre Gala eingeladen, und das Prestige wäre enorm, doch John besteht darauf, dass wir, wenn wir das erste Mal nach London kommen, auf unseren eigenen Füssen stehen sollten!!! Mal sehen!“

So verzögerte sich das Londoner Debüt des Stuttgarter Balletts um ganze zehn Jahre, hat Cranko den Londoner Triumph seines „Romeo“ im Coliseum nicht mehr miterleben können. Doch kann man heute schwerlich der Versuchung widerstehen, sich vierzig Jahre zurück zu träumen an jenen nebligen Abend im Londoner Spätherbst 1964 und in unserer Fantasie das Stuttgarter Ballett mit Margot Fonteyn, Erik Bruhn und Rudolf Nurejew in Crankos „Romeo und Julia“ über die Bühne des Drury Lane tanzen zu sehen!

 

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