Das Bayerische Staatsballett eröffnet seine Saison mit „Onegin“ von Cranko

Allüre und Melancholie: Marlon Dinos phänomenales "Onegin"-Debüt

München, 25/09/2007

Es ist immer gefährlich, Nachwuchstalente hymnisch zu loben. Sowas könnte ungut zu Kopfe steigen. Aber man kommt nicht drum herum: Marlon Dino, gerade eben erst zum Solisten ernannt, hat ein phänomenales „Onegin“-Debüt gegeben. Er und die wunderbare Lucia Lacarra als Tatjana - ein neues Traumpaar. Das Staatsballett, wie von ihnen elektrisiert, angefeuert noch vom Staatsorchester unter Myron Romanul, machte die Wiederaufnahme dieses schönsten aller Cranko-Ballette zu einem vielversprechenden Saison-Auftakt im Münchner Nationaltheater.

Lob vorweg für den neuerdings risikobereiten Ballettchef Ivan Liska. Tatjanas „kleinere“ Schwester Olga besetzte er erstmals mit der hochgewachsenen Roberta Fernandes. Und die so natürlich weiblich reizvolle Fernandes zusammen mit ihrem Lenski, dem stürmischen Lukás Slavický, bringen gleich ins Gartenbild zu Beginn eine wundervolle Lebendigkeit. Eine Augenweide ihr Pas de deux. Hier ist Jugend, hier ist unverhüllt verliebte Erwartung. Und jetzt der Kontrast, dieser Onegin, elegant ganz in Schwarz, bleiche, markante Züge, kühl im Auftritt. Man kann nicht anders als fasziniert sein, wie Marlon Dino, der hier ja (abgesehen von einem Gastspiel-Albrecht) seine erste Hauptrolle überhaupt tanzt, die Figur so vollständig in sich aufgesogen hat. Diese abwesend-reservierte Allüre, die gelangweilt vornehme Geste, die Melancholie im lyrischen Solo, sein provozierender Flirt mit Olga, seine zu spät erkannte Liebe zu Tatjana, es stimmt alles. Und bis zu diesem letzten leidenschaftlichen - schmerzlich schön getanzten - Pas de deux mit Lacarra hält er die Spannung.

Aber als dann der Jubelapplaus losbricht, kann er die feuchten Augen nicht verbergen. Das macht ihn auch noch sympathisch. Lucia Lacarra, wie immer ganz große dramatische Darstellerin, hat sicher mit ihrer Intensität, mit ihrer Erfahrung zu seinem gelungenen Debüt beigetragen. Auch technisch: die verflixten Hebungen fließen und schweben. Ein Höhepunkt auch der eheliche Pas de deux Tatjanas mit dem nobel gereiften Gremin von Vincent Loermans. Für John Cranko (1927-1973) wäre dieser Abend ein wunderschönes 80. Geburtstaggeschenk gewesen.

28., 9., 20., 22.10., dann noch fünf mal. 089/21851920 
 

Marlon Dino - ein Portrait von Malve Gradinger Er ist hellwach - weiß genau, wohin er will. Und wenn man dazu noch so eine blonde attraktive Siegfried-Statur von 1 Meter 95 hat, ist das ehrgeizige Tänzerziel schon zum Greifen nahe. Der 26jährige Albaner Marlon Dino, seit 2002 im Staatsballett und soeben zum Solisten ernannt, schüttelt den Kopf. Das Körperliche sei auch wichtig. Aber an die Spitze komme man nur durch harte Arbeit - und ein bißchen Glück. Ist das jetzt Glück, wenn er zum Saison-Auftakt Münchner Nationaltheater sein Debüt in John Crankos „Onegin“ geben darf mit einer Lucia Lacarra als Tatjana? Eher doch das harte Arbeiten. Aber das brauche er, ohne hartes Training sei er kein Mensch, insistiert er, der Blick offen und ehrlich - aus hellblauen Augen! Gibt es das oft bei Albanern? „Nein, sie sind eher klein, haben braune Augen und dunkle Haare, wie meine Eltern“, lacht er.

Die Mama ist es übrigens, die ihn zum Ballett schickt. „Damals, ich war 13, 14, hingen bei uns die Jungs in Straßenbanden herum, meine Mutter wollte mich vor allem davon weghalten“, gesteht Dino. Aber das Tanzen steckte schon in ihm drin. Wenn Ballett im Fernsehen kam, hat er das gleich im Wohnzimmer nachgemacht. Mit seinem Talent darf er in der staatlichen Ballettakademie von Tirana die ersten Klassen überspringen: „Der Unterricht war streng, geradezu militärisch. Nach dem ersten Jahr war ich fix und fertig, ich wollte aufhören. Aber als ich Fortschritte bei mir bemerkte, war Tanz für mich wie eine Droge. Ich wollte immer mehr davon.“

Während die Mama, Biologielehrerin, und der Vater, Veterinär, nach den entbehrungsreichen Zeiten unter Enver Hoxha und Nachfolgern 1998 in die USA auswandern, beginnt Dinos berufliche Laufbahn: „Ich habe an dieser großen Audition teilgenommen, die Jean-Christophe Maillot (Leiter der Ballets de Monte Carlo“) 2000 zum ersten Mal veranstaltet hat. Eine tolle Sache, Monte Carlo zahlt Reise und Aufenthalt. Aus 5000 Bewerbern wurden damals 20 Mädchen und 15 Männer ausgewählt, die von den angereisten Ballettchefs Vertragsangebote bekamen. Ich hatte 15 Angebote, darunter auch das New York City Ballet.“ Und das war für ihn keine Verlockung? „Nein, Europa mit seiner Kultur ist für mich viel interessanter.“ Seine Wahl, die Wiener Staatsoper, war dann keine gute, wie er nach eineinhalb Jahren weiß. Zum Staatsballett will er jetzt. Es soll das beste Repertoire haben, hat er gehört. „Vom obersten Rang im Nationaltheater habe ich John Neumeiers „Cinderella“ gesehen... ich war wie vom Blitz getroffen, hier wollte ich hin.“

Zuerst tanzt er nur in der Gruppe, dann mal eine Balanchine-Solopartie. Nach zwei Jahren allmählich wichtige Nebenrollen: Graf Paris und Tybalt in „Romeo“, Rotbart in „Schwanensee“, zuletzt Birbanto und Ali in „Corsaire“. „Natürlich bin ich ungeduldig, alle Albaner sind das“, streckt Dino bekräftigend seinen langen Körper. „Aber ich habe Geduld gelernt. Ich respektiere es, dass die älteren Solisten Vorrang haben. Ich kann von ihnen nur lernen.“ Jetzt zum Beispiel von Lucia Lacarra: „In der Öffentlichkeit gilt sie als Star. Davon ist bei der Probenarbeit nichts zu spüren. Sie ist eine Künstlerin, mit einer so großen Leidenschaft, dass sie einen ganz stark in diese Beziehung „Tatjana-Onegin“ hineinzieht.“ Zur Rollenvorbereitung hat Marlon Dino sich verschiedene Onegin-Interpretationen auf Video angeschaut und hat (was selten ist für einen Tänzer) den Puschkin- Versroman tatsächlich gelesen: „Für mich ist Onegin ein bisschen arrogant, aber kein böser Mensch. Er hat nur schon viel erlebt, darum langweilt er sich schnell... Ich möchte mir diese Figur so erarbeiten, dass das Publikum sie in meinen Augen, in meiner ganzen Körpersprache lesen kann.“

Natürlich würde er gern „alles tanzen“, aber am liebsten doch die dramatischen Ballette, wo er Gefühle zum Ausdruck bringen kann. Der Armand in John Neumeiers „Kameliendame“ steht ganz oben auf der Wunschliste. Oder mal einen Spartakus. Choreografien zu erlernen sei kein Problem. Schritte könne er sich selbst mit einer Videoaufnahme beibringen. Das lasse dem Ballettmeister mehr Zeit fürs eigentliche Coaching, meint er pragmatisch. Überhaupt scheint Lernen für ihn etwas Natürliches. Außer Albanisch und Russisch spricht er auch noch Französisch, Englisch, Italienisch und Spanisch. Sein Deutsch, „nur so beim Fernsehen“ aufgeschnappt, ist nicht minder bewundernswert. Dazu seine Reaktion „Was Gott mir wirklich gegeben hat, ist ein Talent für Sprachen. Aber was mein Herz will, ist Tanzen.“

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