Eindrücke zum VIII. Tanzmedizin Symposium in Stuttgart

gesammelt von Bettina Preuschoff, Pilates-Trainerin aus Hamburg

Stuttgart, 05/06/2006

Aufgrund unglücklicher Umstände erreichte ich Stuttgart erst am Freitagabend und somit begann für mich das Symposium am Samstag, dafür aber gleich mit einer ordentlichen Portion Theorie. Gewohnt kurzweilig führte Boni Rietvield durch seinen Vortrag, in dem es um das für den Körper ungesunde „en dehors“ ging und die Möglichkeit es rückenschonend zu trainieren. Flüssig und vor allem gut verständlich für Nicht-Mediziner präsentierte er Fakten, aufgelockert durch sein legendäres „Hornspiel“.

Dr. med Christian Mauch gab einen schulmedizinischen Abriss über die Behandlung von Bandscheibenvorfällen. Als Fußballarzt fehlte mir persönlich sein Bezug zum Tanz. Auch wenn er ab und an Tänzer behandelt, sprach er doch meist vom Leistungssport.

Dr. med Joachim Bandlow stellte einen ganzheitlichen Ansatz vor, der auf der TCM beruht. Ein derart komplexes Thema in einem 20-minütigen Vortag erklären zu wollen ist sicherlich schwierig, er schaffte es jedoch mein Interesse zu wecken, sich eingehender mit dieser Thematik beschäftigen zu wollen.

Nun zu Thomas Schaible: Sein Vortrag „Kinesiotape“ war meines Erachtens mehr eine Verkaufsveranstaltung für sein Produkt als eine wirkliche Information. Thomas Schaible ist Kinesio-Tape Instructor, d.h. er weiß, wie man die schönen bunten Klebebänder auf dem Körper anbringt, die in Minutenschnelle Schmerzen nehmen sollen. Zugleich vertreibt er die teuren Pflaster. Der Andrang an seinem Stand lässt darauf schließen, dass bei vielen Tänzern und Pädagogen der heimliche Wunsch besteht, mit einem Wundermittel von außen Schmerzen im Körper zu lindern. Diese Methode mag funktionieren, jedoch vermochte Herr Schaible mir nicht zu erklären wie und warum.

An diesem Vortragsnachmittag fesselte mich noch Dr. med Elisabeth Exner-Grave mit ihrem tollen, kurzweiligen Vortrag über das „Tanzen mit Skoliose“. Die große Begeisterung des Publikums beim Vortrag „Spiraldynamik - funktionelle Tanztechnik als 3D-Skoliosetherapie“ konnte ich nicht völlig teilen. Sicherlich wurde die Thematik gut aufbereitet und von gutem Bildmaterial unterstützt präsentiert. Mir persönlich erschloss sich leider aber nicht, was das umwerfend Neue an dieser Methode sein soll.

Die Vorträge insgesamt wie auch die anschließende Diskussionen waren von großer Offenheit geprägt. Die verschiedenen Facetten der Problematik „Wirbelsäule im Tanz“ wurden gut durchleuchtet und mein Eindruck war, dass so oft wie möglich eine „Entweder-Oder-Strategie“ vermieden wurde.

Jetzt aber endlich zur Praxis: Als Pilates-Professional war ich sehr neugierig, wie die Kolleginnen Christin Kuhnert und Astrid Kienert aus München die Thematik angehen würden. Christin und Astrid sind Adepten der zeitgenössischen Pilatesströmung und erklärten anfangs auch warum. Mit ihrem schlüssigen Konzept, in dem sie auf Qualität statt Quantität setzten und ihren guten und klaren Erklärungen und verbalen Anweisungen waren sie sicherlich mein Highlight in den praktischen Workshops des Kongresses. Sie nahmen sich trotz der hohen Teilnehmerzahl Zeit für taktile Korrekturen, setzten Hilfsmittel wie Sitzkissen und TheraBand ein und stellten die Körperwahrnehmung an die erste Stelle. Kurzum: ich war von dem Workshop „Core-Stability rund um die Wirbelsäule“ begeistert.

Bei Gregory Pouchet, Certified Rolfer, bekam ich im Workshop „Lendenwirbelproblematiken - Was erforderlich ist besagte Strukturen in Stabilität zu bringen“ viel Input in kurzer Zeit. Leider fehlte ein wenig eine klare Struktur im Unterricht, was wahrscheinlich daran lag das der Dozent sich für die vorhandenen 75 Minuten zu viel vorgenommen hatte.

Den Workshop „Spiraldynamik - Freie Brustwirbelsäule, Bewegungsspiel der Pole“ der Physiotherapeutin Andrea Naayer-Stocklin empfand ich leider als langatmig. Ich wartete vergeblich, dass „es“ endlich losgeht. Für mich, was auch an meiner eigenen Erfahrung in Körperarbeit liegen mag, gab es keine wirklich neuen Informationen, blieb ein Gefühl der Enttäuschung. Schade, dass die Spiralbewegungen nicht auf Tanzbeispiele übertragen wurden, nach dem Motto „was passiert, wenn...“!

Am Sonntag wieder ein Tagesbeginn mit viel Theorie! Gabriela Schärer-Jenk hielt einen spannenden Vortrag über die „Vermittlung klassischer Tanztechnik heute“, (auch für Nicht-Ballettpädagogen lohnend), in dem schön zu sehen war, dass auch im klassischen Tanz zunehmend grenzüberschreitend gedacht und gehandelt wird.

Javier Torres präsentierte einen charismatischen Vortrag über „The placement of the pelvis as the base for the alignment of the spine“, den er mit praktischen Vorführungen am eigenen Körper bereicherte. Javier Torres vermittelte die Wichtigkeit, den Tänzer an einen liebevollen Umgang mit dem Körper heranzuführen. Humorvoll und fachlich hervorragend ausgearbeitete Präsentation des Themas!

Bei Dr. Anita Ginter, die über das Thema „Dynamische Stabilisation des Rückens unter Einbeziehung der Applied Kinesiology speziell für Tänzer“ sprach, erhielt ich eine hervorragende Vorbereitung für den nachfolgenden Workshop. Man spürte die Begeisterung dieser Vollblutärztin für die Bewegung, den Tanz, ihr tägliche Auseinandersetzung mit der Thematik, toll!

Gleich anschließend durfte ich sie also in der Praxis zum gleichen Thema erleben. Ein unglaublich interessanter Workshop, denn Dr. Ginter schaffte es, uns alle mit ihrem unglaublichen Fachwissen in den Bann zu ziehen. In den nur 75 Minuten bekamen wir einen fachlichen Rundumschlag verpasst, durften in Zweierarbeit Muskeln testen und konnten uns sofort vom Funktionieren der Kinesiologie überzeugen. Ein großes Lob!

Glücklicherweise hatte der Sonntag einen sehr lockeren Vortragsabschluss. Dr. phil. Richard Merz hielt einen humorigen und gleichzeitig sehr ernsten und emotionalen Vortrag über die Spontaneität im Tanz. Er ist ein packender Erzähler, der Fakten von einer anderen Seite gesehen zu nutzen wusste, interessante Vergleiche zu anderen Künstlerberufen stellte und sicherlich die meisten Teilnehmer mit seinen Überlegungen nachdenklich zurückließ!

Zum Abschluss hörte ich Alan Brooks. Mit jungenhafter Euphorie erzählte Alan von seinen Schultanzprojekten, zeigte auch einen kurzen Ausschnitt eines Filmes. Die Begeisterung des frei vortragenden Tänzers schlug direkt auf mich über und zeigte, wie wichtig es ist, Projekte wie diese in Deutschland vermehrt zu fördern.

Fazit: Das Symposium war wieder einmal ein echtes Highlight in meinem jährlichen Tanzkalender! 

 

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