Eindrücke zum VIII Tanzmedizin Symposium im Stuttgart vom 26. - 28 Mai 2006

gesammelt von Diane, Ballettpädagogin aus Gießen

Gießen, 30/05/2006

von Diane, Ballettpädagogin aus Gießen

Nach dem Eintreffen und Begrüßungen im Kammertheater des Staatstheaters in Stuttgart begann das Symposium mit Vorträgen - alle mit konkretem oder übertragenem Bezug zum Symposiumsthema „Die Wirbelsäule im Tanz“. Schon bald aber kam die eigentliche Frage des Wochenendes auf: „Ist ein gerader Rücken - wie so oft verlangt - wirklich eine gesunde Sache im Tanz?“ Die meisten Vorträge brachten berechtigte Zweifel auf.

Nachmittags besuchte ich einen Workshop über die Wirbelsäule im Aikido. Von Aikido wusste ich bisher gar nichts. Ich ging dort hin, weil mich im letzten Symposium die Dozentin Jennifer Bury sehr beeindruckte. Die Berührungspunkte von Aikido und Tanz sind ähnlich wie bei vielen Techniken im Kampfsport. So kommt zum Beispiel im Aikido wie im Tanz alle Kraft für die Bewegungen zuerst aus der Wirbelsäule. Das vergisst man aber sehr leicht und dieser Workshop bot wunderbare Gelegenheiten das (wieder) zu erlernen und auszuprobieren. Wir übten Vorwärts- und Rückwärtsrollen sowie verschiedene kleine Partnerübungen im Stehen. Die Übungen waren eine besonders gute Vorbereitung für Partnerarbeit, denn die funktioniert nur gut, wenn der Handdruck und die Rückenhaltung stimmen.

Leider kann man sich nicht aufteilen, sonst wäre ich liebend gerne in all die Workshops gegangen, die parallel zu meinem liefen. Zum Glück hatte ich meine beiden Töchter dabei, die auch tanzen. Sie besuchten das „Stressmanagement und High Performance Training in der Tanzmedizin heute“, geleitet von Christopher Gordon, Physiotherapeut in Stuttgart, von dem sie total begeistert waren. Da wurden Techniken vorgestellt, die helfen sollen, mit Stress, auch extremem Stress, umzugehen. Das war genau das Richtige für meine Töchter, die oft Mühe haben, Schule und Tanz unter einen Hut zu bringen.

Am Abend haben wir die Vorstellung „Der Sandmann“ des Stuttgarter Balletts gesehen, in der Choreografie von Christian Spuck. Das war wunderbar, denn unsereins sieht leider nicht sehr viel Ballett, und wie ihr wisst, sind die Tänzer und Tänzerinnen des Stuttgarter Balletts klasse. Aber das ist ein anderes Thema...

Samstagvormittag ging es wieder los mit Vorträgen. Dr. Boni Rietveld sprang für einen kranken Redner ein. Seine Vorträge finde ich immer so gut, dass ich mir wünsche, er würde mehrere Stunden erzählen, und dann könnte man noch darüber diskutieren. Er ist sehr klar und gut vorbereitet, schweift vom Thema ab, kommt mit Leichtigkeit zurück, er scheint kombinieren zu können und er hört gut zu; dabei ist er sehr fachkundig medizinisch und gleitet nicht ab ins Esoterische. Das gefällt mir. Ganz wichtig ist, dass er Tänzer zu verstehen scheint und das ist leider sehr selten unter Ärzten. Dr. Rietveld sprach über den Rücken im Tanz, über das „en dehors“, also die Außenrotation, die so wichtig und doch so schwer zu erreichen ist für viele Tänzer. Die Kompensationen im Körper, die gemacht werden, um dem Ideal des Balletts zu entsprechen, sind nicht nur nicht gesund, sondern wirklich kaputtmachend. Das sollten alle Dozenten, in großen wie in kleinen Ballettschulen, wie auch die Choreografen und Trainingsleitern an Kompanien bitte endlich auch kapieren!

Es gab natürlich andere gute Vorträge, zum Beispiel über Mikronadeltechniken bei Bandscheibenvorfällen, aber ich schreibe hier nur über einige.

Nach einer Kaffeepause habe ich mich bei Dr. Rietveld wiedergefunden für den Arbeitskreis, „Tanzmedizinische Untersuchung der Wirbelsäule“. Ich wurde nicht enttäuscht. Es hätte noch Stunden dauern können, denn es gibt so viel, was man noch lernen kann und natürlich worüber man diskutieren könnte. Ich habe gesehen, wie eine tanzmedizinische Untersuchung ausschauen kann und wieder einmal musste ich erkennen, dass die meisten Ärzte, die ich bisher kennengelernt habe, diese Techniken nicht kennen oder einfach nicht nutzen.

Der Kürze zuliebe nun ein Sprung zum Sonntagnachmittag, denn da hatte ich am meisten Freude. Da gab Javier Torres, ein in Mexiko geborener und ausgebildeter Tänzer und Trainingsleiter - zurzeit beim Finnischen Nationalballett - einen Workshop über die Platzierung des Beckens als Basis für die Ausrichtung der Wirbelsäule. Fantastisch! Schon sein kurzer Vortrag zum selben Thema am Mittag war super, und jetzt auch noch ein Training!

Wir haben einen Barre - ein Stangentraining - im klassischen Ballett gemacht. Das war sehr schön, und obwohl ich mich nicht vorher aufgewärmt hatte, wie ich es normalerweise machen muss (denn mit meinem weit über vierzig Jahren bin ich nicht mehr allzu flexibel), hatte ich durchaus das Gefühl, total aufgewärmt zu sein, und doch locker und bereit für mehr Training. Leider hatten wir nur Zeit für ein Exercise in der Mitte, aber das war schon toll.

Torres lehrte seine Methode wie man den Rücken aufrichtet, ausgehend von der Verbindung Becken und Halswirbelsäule. Javier Torres mischt seine Übungen und gibt sie in eine Reihenfolge, die es ermöglicht, sich sehr gut in die richtige Platzierung zu bringen. So werden zum Beispiel nur bestimmte, relativ leicht zu kontrollierende Übungen am Anfang der Stunde gemacht, damit die Tänzer besser aufgerichtet werden können. Die komplizierteren Bewegungen, die mehr Kontrolle durch das Becken erfordern, werden später im Exercise als sonst üblich durchgeführt. Ich hoffe, dass Mr. Torres das nächste Mal viel Zeit für ein ganzes Training und danach Zeit für Fragen, Antworten und Diskussion bekommt!

Vortrag über Mentales Training. Wissen wir alle, dass das Gehirn nicht unterscheiden kann zwischen Wahrheit und Fantasie? Das heißt, mein Gehirn weiß tatsächlich nicht, ob ich lache, weil ich glücklich bin oder weil ich einfach die Muskeln des Mundwinkels hochziehe. Daher schüttet mein Gehirn trotzdem sogenannte Glückshormone aus, egal, ob ich aus Glück lache oder nicht. Hey, dann kann ich doch helfen, meine Laune und mein Allgemeingefühl zu steigern, indem ich so tue, als ob! Nicht schlecht, oder? Dies hat natürlich tolle Vorteile für alle, die tanzen oder Sport machen.

Das Symposium endete mit einem aufmunternden Vortrag von Alan Brooks, Tänzer in München, der an meiner alten Schule, der Rambert in London, ausgebildet ist. Brooks berichtete über seine Arbeit mit Kindern und Jugendlichen und wie elementar wichtig der Tanz für die Persönlichkeitsentwicklung ist. Brooks sprach mit viel Gefühl und aus viel Erfahrung und er sprach mir aus der Seele. Was für ein Ende! Was für ein Symposium!

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