Ein Jahrhundertereignis des Theaters

Nachgeholt: die Sasha Waltz-Produktion von Purcells "Dido & Aeneas"

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Berlin, 27/10/2006

Seltsame Koinzidenz: gestern, Mittwoch, in Strasbourg die Premiere von „Les Troyens“, Berlioz‘ monumentalem Zweiteiler über den „Fall von Troja“ und „Die Trojaner in Karthago“. Das ist Frankreichs Antwort auf Deutschlands „Ring des Nibelungen“. Eine gut fünfstündige Grand Opéra par excellence, inklusive diverser Ballettepisoden. Meine erste Begegnung damit in den sechziger Jahren in Stuttgart. Choreografie: John Cranko und Anne Woolliams. Keine erinnerungsträchtige Produktion! Jetzt in Strasbourg: eine musikalisch exzellente Aufführung, ziemlich konventionelle Regie (nicht vergleichbar mit Düsseldorf/Duisburg im vergangenen Jahr), keine Choreografie, die vorgesehenen Ballettnummern zu pantomimischer Umstandskrämerei reduziert.

Tags drauf in der Berliner Staatsoper nachgeholt Henry Purcells „Dido & Aeneas“, der gleiche Stoff, aber diesmal englisch, aus dem Jahr 1689 – eine Koproduktion von Sasha Waltz & Guests mit der Akademie für Alte Musik und dem Vokalkonsort Berlin. Elfte Vorstellung, restlos ausverkauftes Haus, hundert pausenlose, atemlose Minuten, eine gesamttheatralische Aktion, musikalische Leitung Attilio Cremonesi. Die großen Themen des Welttheaters, Geburt und Tod, Liebe und Leid, privates Glück kontra staatlichen Auftrag, Götter gegen Menschen – in engster Verzahnung von (erweitertem) Text, Musik, Gesang, Tanz, Raum, Kostüm, Farbe, Beleuchtung, Unterwasser-Ballett und aviatorischen Luftakten.

Ich bekenne, kein sonderlicher Waltz-Fan zu sein – zu viel exhibitionistisches Körpertheater, zu wenig Tanz (oder was ich darunter verstehe). Aber dies ist eine grandiose, tänzerisch überströmend reiche inszenatorische Choreografie, von allen Beteiligten mit 150-prozentigem Einsatz ausgeführt. Eine Spitzenleistung des Theaters in der Fortsetzung der historischen Tradition von Appia-Dalcroze-Hellerau über Pina Bauschs Wuppertaler Gluck-Produktionen bis zu eben diesem Berliner Gesamtkunstwerk, das so ganz und gar nichts mit Wagners Teutonismus zu tun hat. Überwältigend!

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