Andy und seine Mannschaft

Die Stuttgarter Ballett-Spielzeit 2006/2007

oe
Stuttgart, 15/06/2006

Etwas verspätet die kj-Reaktion auf die Bekanntgabe des Stuttgarter Ballettspielplans der Saison 2006/07, da ich bei der Pressekonferenz am Montag nicht anwesend sein konnte. Inzwischen haben ja die Lokalzeitungen schon über die Planungen berichtet, und da war ich doch etwas erstaunt, dass Ballettchef Reid Anderson „seine Mannschaft“ schon gefunden hat. Das stimmt schon, aber wenn ich in diesem Zusammenhang von einer Mannschaft lese – womit seine für die Novitäten zuständigen Choreografen Mauro Bingonzetti, Marco Goecke, Douglas Lee und Christian Spuck (in schöner alphabetischer Reihenfolge) gemeint sind, kommt mir in diesen Fußball-Weltmeisterschaftstagen unvermeidlich unsere Mannschaft um Jürgen Klinsmann in den Sinn und ich frage mich, ob wir vielleicht in Zukunft den Ballettintendanten in Analogie zu Klinsi einfach unseren Andy nennen sollten. Und wer wäre dann unser Ballett-Mike? Sie wissen schon, das ist der mit der Wade? Unseren gerade zum Principal beförderten Sascha (der ja auch aus dem Osten kommt)? Eindeutiger wären dann schon Goecke und Spuck zu positionieren, denn die wären natürlich unser Poldi und Schweini. Aber hier will ich lieber aufhören, sonst kommt noch jemand auf die Idee einen gewissen oe zum Mayer-Vorfelder des deutschen Balletts zu ernennen (nachdem der „deutsche Ballettpapst“ ja schon gründlich abgewirtschaftet hat).

Also zurück zum Stuttgarter Ballett-Spielplan 2006/07! Da kann ich mich nur wundern, wie gehorsam die Kollegen die Ankündigungen der wohllöblichen Ballettdirektion beim Wort nehmen. Bigonzetti mit der Uraufführung seines „ersten Handlungsballetts“? Aber was ist dann mit seinem „Midsummer Night‘s Dream“ zur Musik von Elvis Costello beim Aterballetto? Und mit seinem gerade erst jüngst herausgebrachten „Romeo e Giulietta“ zur Musik eines gewissen Sergej Prokofjew bei der gleichen Kompanie? Doch in allen Ehren: es ist schon bewundernswert, wie Andy jahrein, jahraus die Profillinien seiner Repertoirepolitik schärft – die Klassiker (schön wär‘s freilich, wenn Peter Schaufuss seine „La Sylphide“ für die Wiederaufnahme noch mal ein bisschen überarbeitete – besonders wenn Marcia Haydée als Hexe Madge sich bei Sorella Englund in Boston informierte, was für bisher unentdeckte dramatische Möglichkeiten in der Rolle stecken).

Drücken wir den Daumen, dass es diesmal beim zweiten Anlauf mit der fulminanten Kombination der Neueinstudierungen von Robbins‘ „Dances at a Gathering“ und Béjarts „Gaîté Parisienne“ klappt – ein Programm, bei dem man ins Träumen geraten kann! Aus denen man dann bei der Ankündigung der Wiederaufnahme von van Manens „Corps“ allerdings brutal herausgerissen wird – ausgerechnet dieses Macho-Ballett, in dem die Frauen zu Wegwerfprodukten erniedrigt werden, zu der so ungeheuer feminin einfühlsamen Musik, die Alban Berg „dem Andenken eines Engels“ widmete (nämlich Manon Gropius)? Da hätte ich unbedingt die „Squares“ zu Satie oder „Adagio Hammerklavier“ oder die „5 Tangos“ zu Piazzolla vorgezogen! Doch insgesamt wird man den diversen Vorhaben eine geradezu ideale Ausgewogenheit bestätigen können. Wie bei einem Gourmet-Menu. Wobei sich jeder selbst seine Speisenfolge aus Klassik, Cranko, Balanchine, Neumeier oder der Hausmannskost à la Goecke, Lee und Spuck zusammenstellen mag.

Wäre ich in der Pressekonferenz anwesend gewesen, hätte ich mich danach erkundigt, wie den Andy und seine „Mannschaft“, wenn sie denn schon Marcias siebzigsten Geburtstag rechtens zu feiern gedenken, auf Crankos achtzigsten reagieren werden. Da der ja am 15. August 2007 mitten in die Theaterferien fällt: wie wär‘s denn, wenn sich Poldi oder Schweini als erste Produktion der neuen Spielzeit an den „Prinz der Pagoden“ wagen würden – mit einer total neuen Dramaturgie, versteht sich, um diesem Ballett endlich zu dem Ruhm zu verhelfen, der seiner musikalischen Qualität entspricht. Das könnte dann die Premiere zur Besiegelung des neuen deutsch-chinesischen Freundschaftspaktes im Zeitalter von Angie und Hui (das ist Hu Jintao, der chinesische Staatspräsident) sein. Übrigens: wie wär‘s mit einem Preisausschreiben der Direktion zur Entzifferung des neuen Ballett-Logos? Ich dachte zunächst an ein offenes Labyrinth. Aber dann kam mir der Gedanke, dass es sich vielleicht um das chinesische Schriftzeichen für StB handeln könnte (wo doch Kalligrafie und Cursive augenblicklich so absolut „in“ sind).

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