Brecht im Blumenkleid

Choreografien von Susanne Linke, Michèle Noiret und Laura Scozzi an der Pariser Oper

Paris, 13/02/2005

„Die sieben Todsünden der Kleinbürger“, Bertolt Brechts Libretto für ein Ballett mit Gesang aus dem Jahre 1933 zur Musik von Kurt Weill, ist eine Mischung zwischen Lehrstück in der Tradition der „Maßnahme“ und parodistischen Elementen. Es erzählt die Geschichte eines amerikanischen Mädchens, das von ihrer Familie ausgesandt wird, um für den Bau ihres Häuschens Geld zu verdienen und das sich dabei stets zwischen Vernunft und den eigenen Wünschen entscheiden muss. Dieses Stück ist bereits im Original schwierig, da es den Konflikt zwischen – auch Brecht zufolge legitimer – Befriedigung von Bedürfnissen und der Hinarbeitung auf ein altruistisches Ziel in aller Widersprüchlichkeit darstellt.

Dieser Stoff wird nun im Stück „Les Sept Péchés capitaux“ aufgenommen und modernisiert. Die Italienerin Laura Scozzi steckt die Protagonisten in knallbunte Hippiekostüme und zeigt Anna als Tänzerin, die sich ihren Weg durch den Norden Amerikas bahnt, von ihrer proletarischen Familie gezwungen, die am Bühnenrand auf einem Sofa sitzt und das Geschehen laufend voll schamlosem Egoismus kommentiert. Anna und ihre Familie sind jeweils als Sänger und als Tänzer auf der Bühne vorhanden, was den Figuren gleichzeitig eine Sofaexistenz und einen handelnden Part ermöglicht.

Vor dem Hintergrund überdimensionaler Werbeplakate, die in grellen Farben Produkte der Konsumgesellschaft anpreisen, ergibt sich so ein temporeiches, vergnügliches Stück, das allerdings noch unverständlicher bleibt als Brechts Vorlage, deren Aussage (Opfer und auch Ungerechtigkeiten hinzunehmen, wenn es dem Erreichen eines höheren Ziels dient) es weder wirklich folgt noch diese deutlich negiert. Dennoch ist das Ballett eine amüsante Tanz-Pantomime, was nicht zuletzt den Darstellern zu verdanken ist, allen vorweg dem sehr gelungenen Anna-Trio Elisabeth Maurin/Muriel Zusperreguy (Tanz) und Ursula Hesse von den Steinen (Gesang). Doch auch die Nebenrollen – eine farbenfrohe Menge von Tänzern in Patchwork- Kostümen, unter denen vor allem Martin Chaix als selbstverliebter Sänger im Elvis-Look glänzt – sind gut besetzt.

Diesem 2001 für das Palais Garnier geschaffenen Stück gehen zwei Uraufführungen voraus: „Les familiers du labyrinthe“ der Belgierin Michèle Noiret und Susanne Linkes Stück „Ich bin...“. Beide thematisieren eine Suche, Susanne Linke ein Suchen nach Identität, Michèle Noiret das Tasten durch ein Labyrinth, allerdings nicht im konkreten Sinne, so dass auch ihr Stück als Suche nach der eigenen Persönlichkeit oder nach einem Lebensweg gedeutet werden könnte. Beide Stücke schaffen eine fremde, aber sehr verschiedene Atmosphäre. In „Ich bin...“ herrscht Helle vor, Klarheit, Präzision. Die Tänzer – allen voran Wilfried Romoli, der für seine Interpretation am Premierenabend mit dem Titel des „Danseur Etoile“ belohnt wurde – schreiben mit Gesten ihre Namen in die Luft, tanzen kurze Soli, begegnen sich in fast zweikampfartigen Situationen, und gehen – sehr lange, ritualähnlich, und in einem bestimmten Rhythmus – immer wieder in bunt gekleideten Gruppen über die Bühne, deren Hintergrund photographierte Stadtbilder von Dresden und Paris bilden, sowie ein Klavier und der Pianist Frédéric Lagnau, der das Stück mit Musik des polnischen Komponisten Tomasz Sikorski untermalt. All dies wirkt, trotz des schönen Schlussbildes, in seiner nüchternen Härte eher befremdlich.

Das erste Stück des Abends, „Les familiers du labyrinthe“, ist von größerem ästhetischem Reiz. Es spielt sich im Halbdunkel ab, von der Bühne hängen lange gebogene silberne Platten, den Hintergrund bilden Videoinstallationen. Interessant ist hier vor allem das ungewöhnliche Bewegungsmaterial, an dem die extrem schnellen Handbewegungen und der Wechsel zwischen technischer und organischer, oft insektenähnlicher Bewegungsweise auffallen. So rennen die Tänzer mal auf allen Vieren wie Käfer über die Bühne, mal tanzen sie wie Maschinen. Reizvoll ist hier vor allem der Anfang des Stückes, an dem Benjamin Pech in einem kurzen Solo, wie von einer fremden Macht beherrscht, vorführt, wie sehr er sich das spezielle Bewegungsvokabular der Choreografin zu eigen gemacht hat.

Nach einem recht langen und an Höhepunkten armen Mittelteil, in dem dem Stück manchmal der Zusammenhalt zu entgleiten scheint, endet es eindrucksvoll mit einer überdimensionalen Videoübertragung eines Solos, das Nolwenn Daniel gleichzeitig am Rand der Bühne tanzt, wobei sich durch die spezielle Position der Kamera und einen leichten Verzögerungseffekt eine traumähnliche Ästhetik ergibt. Alles in allem ein anfangs ziemlich unzugänglicher Ballettabend, dessen schwere Grundstimmung allerdings am Ende humorvoll aufgelockert wird.


Premiere am 3.2.2005, besuchte Vorstellung am 10.2.2005
Weitere Vorstellungen: siehe die Seite der Opéra de Paris

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