„Signes“ von Carolyn Carlson

Das Lächeln der tanzenden Gemälde

Das Ballett der Pariser Oper in Carolyn Carlsons „Signes“

Das besondere Zusammenwirken von Bühnenbild, Requisiten, Kostümen, Musik und Tanz macht das Ballett zu einem harmonischen Gesamtkunstwerk.

Paris, 28/06/2023

Während die Kompanie im Palais Garnier Kenneth MacMillans „Manon“ aufführt, das auf Prévosts Skandalroman „Histoire du Chevalier Des Grieux et de Manon Lescaut“ basiert (siehe tanznetz vom 22. Juni 2023), zeigt ein anderer Teil des großen Ensembles in der Opéra Bastille ein Werk, dessen Inspirationsquelle Gemälde sind: „Signes“ von Carolyn Carlson.

Obgleich es häufig geschieht, dass Choreographen Gemälde oder Skulpturen zitieren, so sind diese selten das Hauptthema eines Balletts; als ein Beispiel soll Roland Petits Ballett „Dix oder Eros und Tod“ (Berlin 1993) genannt werden, in dem eine Reihe von Gemälden von Otto Dix tänzerisch zum Leben erweckt wurde. Die amerikanische Choreographin Carolyn Carlson ging in ihrem Ballett „Signes“, das sie 1997 für die Pariser Oper schuf, ein wenig anders vor: bei ihr werden die Tänzer Teile mehrerer abstrakter Gemälde, die dadurch neben der dritten noch eine figurative Dimension gewinnen. Carlson wählte sieben Werke des französischen Malers Olivier Debré aus, der auch die Kostüme und einige skulpturenartige Requisiten schuf, zum Beispiel Farbstriche, die sich plötzlich wie die Flügel von Windmühlen drehen.

Vor den sieben Bildern entfalten sich sieben verschiedene Welten, die sich in Farbtönen und Musik unterscheiden. Die Partitur besteht aus Klanglandschaften von René Aubry vom Tonband, deren Atmosphäre sich von Bild zu Bild ändert, die aber innerhalb jeder Szene oft hypnotisch-repetitiv sind. Sowohl in der Choreografie als auch in der Musik gibt es Leitmotive, beispielsweise das Ticken einer Uhr, zu dem sich die Tänzer*innen mechanisch bewegen wie Aufziehpuppen, das Schreiten mit hochgezogenen Knien, das Kreisen der Finger und Arme und das Erheben des rechten Armes im rechten Winkel zum Oberkörper, mit abgewinkeltem Ellenbogen und zum Publikum gewandter Handfläche. Einheit schafft neben den Leitmotiven die Präsenz von Hannah O’Neill und Florent Mélac, die die Gruppe in gelben, blauen, schwarzen und weißen Gewändern wie zwei Zeremonienmeister anführen.

Ein menschliches Gesicht, das mit wenigen Strichen auf dem Bühnenvorhang angedeutet ist, skizziert das Thema des ersten Bildes: „Das Zeichen (signe) des Lächelns“, das die Tänzer*innen im Lauf des Balletts immer wieder auf ihr Gesicht zu malen scheinen. Hannah O’Neill erscheint wie eine strahlende gelbe Sonne, die sich um ihre eigene Achse dreht; ihre Choreografie wird von kreisförmigen und fließenden Bewegungen dominiert. Darauf folgen vier Bilder, die auf Landschaften in verschiedenen Ländern wie China und Indien anspielen, sowie ein Bild, das dem „Geist des Blau“ gewidmet ist. In diesem begegnet sich das Hauptpaar, das zuvor hauptsächlich getrennt oder nebeneinander tanzt, in einem emotionalen Pas de deux, der einen Höhepunkt des Balletts bildet. Im siebten Bild mit dem Titel „Der Sieg der Zeichen“ treffen die beiden Solisten wieder aufeinander und führen das Corps de Ballett durch das letzte gemeinsame Ritual. In diesem scheinen alle Tänzer*innen, in Schwarzweiß gekleidet, aus dem Bühnenbild herauszutreten und sich als bewegte Symbole selbstständig zu machen. Der Kreis schließt sich mit dem erneuten Auftauchen der sich drehenden Sonnenfigur und der leitmotivisch erhobenen Hand ihres Partners.

Hannah O’Neill gelang es besser als ihrem Partner Florent Mélac, die Rollen auszufüllen, die von höchst charismatischen Vorgängern wie Marie-Agnès Gillot und Kader Belarbi geprägt wurden; beide zeigten sich ihrer Choreografie durchaus gewachsen. Diese erfordert teilweise höchste Präzision und Synchronisation, beispielsweise in den humorvollen Uhrwerkszenen, in denen zuerst die beiden Haupttänzer, dann das Corps de Ballet sich wie Marionetten gebärden. Zuweilen erinnern die Tänzer*innen an Cartoonfiguren, etwa in einer Szene, in der Florent Mélac mit gelben Handschuhen wie ein Trickfilmgangster einen Boxkampf mit seinem Hut und einem identisch gekleideten alter ego austrägt, oder im vorletzten Bild, in dem Adrien Couvez als stilisierter Ägypter im bunten Rock ein wenig länger als seine Kollegen tänzelnd und gestikulierend auf der Bühne verweilt, um sicherzustellen, dass das Bühnenbild der letzten Szene rechtzeitig von der Decke herabgesenkt wird.

Das besondere Zusammenwirken von Bühnenbild, Requisiten, Kostümen, Musik und Tanz sowie die Gabe von Carlson und Debré, die riesige Bühne der Opéra Bastille mit ihren Gemälden und bewegten tänzerischen Skulpturen auszufüllen, machen dieses Ballett zu einem harmonischen Gesamtkunstwerk, das seine Frische und Faszination für Publikum und Tänzer*innen wohl nicht so schnell verlieren wird.

Besuchte Vorstellung: 25.06.23
www.operadeparis.fr

 

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