Bournonville und Balanchine
Das Königliche Ballett Kopenhagen eröffnet das 30. Budapester Frühlingsfestival
Bournonvilles „Abdallah oder die Gazelle von Basra“
Auf denn also zur nächsten Station der Welterkundungsreise des Herrn Bournonville. Es ist Basra im Irak. Von dort hat er das Ballett „Abdallah oder die Gazelle von Basra“ mitgebracht, eine orientalische Märchenpostille aus der Nachbarschaft des Kalifen Harun-al-Raschid im Reiche von „Tausendundeiner Nacht“. Und ein farben- und düfte- und vor allem tanztrunkenes Spektakel ist es geworden. 1855 uraufgeführt, ist es schon bald in Vergessenheit geraten und erst 1985 bei einer Versteigerung von Bournonvilleana in New York wiederaufgetaucht. Im fernen Salt Lake City, ausgerechnet bei den Mormonen, haben sich dann Toni Lander, Bruce Marks und Flemming Ryberg zusammen mit dem Ausstatter Jens-Jacob Worsaa an die Revision und Wiederherstellung gemacht, und in dieser Form ist es 1986 sozusagen nach Kopenhagen heimgekehrt und an diesem Abend zu seiner 90. Vorstellung gelangt.
Man kann sagen: es hat sich gelohnt! Und wenn wir auch heute – leider – andere Assoziationen mit dem Irak verbinden und uns sehr wohl vorstellen können, dass dort der Scheich Ismael zwei bildschöne Töchter und sechs wohlgeratene Söhne hat – von zwölf Sklaven und einem Dutzend Haremsdamen ganz zu schweigen –, so doch kaum, dass die Erziehung der Nachkommenschaft und des umfangreichen Hofstaates offenbar nach den strengen Gesetzen der Bournonville-Schule erfolgte. Ach wär‘s doch auch heute noch so! Selbstmordterroristen waren damals jedenfalls noch nicht zugelassen. Und so wimmelt es denn in dieser kunterbunten Panoptikumsshow zu der animierenden Musik von H. S. Paulli von schrulligen orientalischen Märchenfiguren, altehrwürdigen Patriarchen mit lang wallenden Prophetenbärten, schlitzohrigen Gaunern, betüternden Müttern, naseweisen Backfischen, flapsigen Jungen, appetitlichen Sweethearts und kessen Boys, ein pummeliger Haremswächter ist natürlich auch dabei nebst einem stets zu einem Streich aufgelegten Knirps – und sie alle tanzen und tanzen und tanzen ...
Die Story kreist um den bettelarmen Schuster Abdallah, der die wunderschöne Irma liebt, von ihr auch wiedergeliebt wird, aber Fatima, ihre gestrenge Mutter, ist gegen diese Mesalliance. Dann fällt ein schurkischer Feind ins Land ein. Abdallah versteckt den rechtmäßigen Herrscher und wird von ihm mit einem fünfarmigen Leuchter belohnt, dessen vier Kerzen ihm die Erfüllung jeden Wunsches garantieren – allein die fünfte darf er nie anzünden, denn sie stürzt ihn in sein Elend zurück. Und so kommt Abdallah zu unermesslichem Reichtum, jeder Menge Wein, Weib und Gesang, sogar Witwe Fatima will ihn jetzt als Schwiegersohn – allein, er kann der Versuchung nicht widerstehen, und so geht die ganze Pracht in Flammen auf (es wird überhaupt viel gezaubert in diesem Ballett) und Abdallah ist wieder der arme Schlucker wie zuvor.
Aber es gibt ja noch einen dritten Akt, und Liebe, Treue und Tugend werden belohnt, Abdallah kriegt seine Irma, Fatima lächelt süßsauer, und so gibt es ein rauschendes Fest, und man weiß ja, wie diese orientalischen Potentaten zu feiern verstehen, und es wird getanzt bis zur Morgenröte, und man wünscht sich, dass diese friedliche, tanzende Morgenröte bald auch realiter für die Iraker wieder anbrechen möge! Na ja, das ist also der gutbürgerlich-biedermeierliche Gegenentwurf zu Fokines „Scheherazade“, und wo bei Fokine nackte Lust und dampfender Sex und schmählicher Tod lauern, da belässt es Bournonville bei seiner verführerisch koketten Sinnlichkeit auf die feine, die dänische Art.
Und die praktizieren unsere Königlichen vom Kongens Nytorv mit sohlenkitzelnder und spitzenpointierter Lust: Amy Watson, die in ihrer springschnellenden Quecksilbrigkeit wahrlich einer Gazelle gleicht, Morten Eggert als Abdallah, der sich beim Landen auf die ledergegerbte Sohle seiner Füße verlassen kann und all die anderen aus dieser königlich dänischen Tänzerfamilie mit dem blaublütigen Siegel des Bournonvilleschen Stammhauses – bis hin zur einzigartigen Kirsten Simone als Witwe Fatima, die so gar nichts von altjüngferlicher Vertrockenheit an sich hat, sondern auch als Witwe einen so betörenden Tänzerduft verströmt, dass man gleich eine neue Parfüm-Kreation nach ihr benennen möchte und sie schon als Lustige Witwe in Neumeiers oder Spoerlis nächstem Abendfüller in Kopenhagens neuem Opernhaus imaginiert.
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