„Tanzsichten II“: Dacapo

oe
Stuttgart, 22/04/2004

Auch die sechste Vorstellung des neuen Stuttgarter Ballettabends findet wieder vor vollem Haus statt – das Publikum ausgesprochen animiert – besonders natürlich nach dem Galili-Finale. Ich wollte es halt noch ein bisschen genauer wissen – und siehe da: die Eindrücke der ersten Begegnung bestätigten sich vollauf beim Wiedersehen. Leider auch die des schwächelnden Mittelteils: Douglas Lees „Lachrymal“ lamentiert vor sich hin, zäh wie Lakritz, ziellos, mit seinen endlos repetierten Ausfallschritten, mal nach rechts, dann wieder nach links, ist auch von den acht hochkarätigen Solisten – darunter die drei Damen Bridget Breiner, Katja Wünsche und Oihane Herrero – nicht zu retten. Das liegt nicht zuletzt auch an der uninspirierten Musik von Benjamin Britten, die sich erst im zweiten Teil, den Reflektionen über ein Lied von Dowland, halbwegs verdichtet.

Dagegen gewinnt Mauro Bigonzettis „Orma“ unbedingt – zumal wenn man es von oben sieht. Es schlägt mit seinen kontrastierenden Beleuchtungsfeldern auch bereits eine Brücke zu Itzik Galilis Leuchtquadraten – wie die Kapellen eines Lichtdoms – am Schluss. Gibt sich überhaupt glänzend durchkonstruiert mit seinen spiegelgleichen Parallelaktionen. Und bindet die einzelnen Abschnitte durch die diversen choreografischen Leitmotive, die signalartigen Arme, die schützenden Hände vorm Gesicht, die Verklammerung der Köpfe durch die Füße des Partners. Ein tolles Stück, dabei mit enormer Sinnlichkeit aufgeladen – mit einem fulminanten Pas de deux für Ivan Gil Ortega und Eric Gauthier. Von allen mir bekannten Bigonzetti-Choreografien die ausgereifteste, dichteste und reichste. Ein Glücksfall auch die absolut synchrone Ausführung durch die Stuttgarter Tänzer.

Wenn das blasse Tänzer sind, dann gebt mir bitte mehr davon! Noch wichtiger ist die Draufsicht bei Galilis „Hikarizatto“ – all diese sich ständig kaleidoskopisch verändernden Muster! Ich frage mich, wie studiert man ein solches Stück ein, mit den blitzartig wechselnden Bodenfeldern, die ja von der Beleuchtung wie von den fulminanten Tänzern ein bruchteil-sekundenhaftes Timing erfordern. Tanzen die Zwanzig von der Stuttgarter tänzerischen Seilschaft das mit eingebauten Computern? Jedenfalls wie Lebewesen aus einer perfekteren Welt – aber jedenfalls als Lebewesen, ganz und gar nicht wie roboterhafte Automaten! Ein fantastisches Stück! Von den Schlagzeugern im Orchester unter der Leitung von Glenn Prince in Gang gesetzt und mit lawinenartiger Wucht vorangetrieben.

Zwei Uraufführungen von dieser Brisanz! Vom Publikum mit entsprechendem Applaus honoriert. Oh ja, die Stuttgarter wissen durchaus, was sie an ihrem Ballett haben. An solchen Abenden macht es ausgesprochen Spaß, Teil des Publikums zu sein!

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