Pläne für die Spielzeit 2004/05 und ein Traum

oe
Stuttgart, 25/06/2004

Unverändert risikobereit zeigt sich Reid Anderson in seiner Planung für die Stuttgarter Ballett-Spielzeit 2004/05. Nicht weniger als sieben Uraufführungen stehen auf seiner Agenda (welch schönes neue Modewort!): von Kevin O‘Day zu Musik von Strawinsky (in einem All-Strawinsky-Programm, zusammen mit Balanchines „Strawinsky Violinkonzert“, Robbins‘ „The Cage“ und Tetleys „Sacre du printemps“ – wahrlich eine geballte Ladung Choreografie), von den drei Youngsters Marco Goecke, Marc Spradling und Matjash Mrozewski unter dem Titel „Beyond Ballet“ und von ihren drei Kollegen Nicolo Fonte, Wayne McGregor und Christian Spuck, gebündelt als „Tanzsichten III“. Das soll ihm erst einmal ein anderer Ballettchef nachmachen!

Von Spuck gibt es eine Wiederaufnahme seiner „Lulu. Eine Monstretragödie“, von der das Publikum offenbar gar nicht genug Vorstellungen kriegen kann. Weitere Übernahmen, beziehungsweise Wiederaufnahmen sind Haydées „Dornröschen“, Savina/Andersons altbackene „Giselle“, Neumeiers „Endstation Sehnsucht“ und von Cranko – eher überraschend – lediglich „Der Widerspenstigen Zähmung“. Es wird wieder eine Woche lang den beliebten „Blick hinter die Kulissen“ geben und die nicht weniger populäre Präsentation der „Jungen Choreografen“ bei der Noverre-Gesellschaft.

Um das Marketing der Kompanie scheint es weniger gut bestellt zu sein, denn als Gastspiele sind gerade mal zwei Tage Bangkok („Romeo und Julia“) und Seoul („Onegin“) sowie ein einsamer „Ballettabend“ in Aalen angekündigt. Blickt man an die zahllosen Auslandgastspiele von Hamburg und München (aber auch Zürich), möchte man Anderson empfehlen, die dortigen Kollegen um Entwicklungshilfe zu bitten.

Persönlich bin ich dankbar, dass der Kelch von Neuinszenierungen des „Nussknacker“ und von „Cinderella“ zunächst noch einmal vorbeigehen wird. Dagegen hätte ich mir gern einen modernen „Le Corsaire“ gewünscht (bei dieser Stuttgarter Jungmänner-Equipe!). Ganz und gar nicht kann ich Anderson verstehen, warum er nicht einmal ein Rock-Ballett für Eric Gauthier choreografieren lässt. Nachdem „The Wall“ ja leider nicht mehr verfügbar ist, müsste sich doch irgendein anderes entsprechendes Stück finden lassen! Wie wär‘s denn mit einem Kompositionsauftrag an Hartmut Engler und Pur – oder, wenn‘s rockiger sein soll, an Klaus Meine und die Scorpions – Choreografie: Reid Anderson! Why Not?

Wenn ich mir das ganze verfügbare Stuttgarter Repertoire ansehe, bedauere ich freilich, dass die viel geliebten Ballette von van Manen, Kylián und Béjart in der Rumpelkammer verstauben – und besonders leid tut es mir um die beiden Robbins-Klassiker, den „Nachmittag eines Fauns“ und vor allem die kostbaren „Dances at a Gathering“. Doch Abhilfe könnte da wohl nur ein stärkerer Anteil des Balletts an den Vorstellungen im Opern- und Schauspielhaus bringen – und der wird der Oper und dem Schauspiel nur schwer abzunötigen sein. Also träumen wir von einem eigenen Ballett- und Tanzhaus in Stuttgart, von dem auch die moderne Szene profitieren könnte! Das sollte der demnächst zu wählende neue Stuttgarter Oberbürgermeister auf seine „Agenda Stuttgart 2010“ setzen! Insgesamt können wir uns jedenfalls in Stuttgart auf eine abwechslungsreiche und kreative neue Spielzeit freuen!

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