Enquete und Premiere der abcdancecompany

St. Pölten also!

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St. Pölten, 20/03/2004

Bisher nur letzter Stopp vor Wien und Umsteigebahnhof in Richtung Wachau. In jüngster Zeit allerdings als Kapitale von Niederösterreich große Anstrengungen unternehmend, auch zu einer Landeshauptstadt der Kultur zu werden. Dazu hat man ein auch architektonisch höchst beeindruckendes Festspielhaus errichtet. Ohne Ehrgeiz, dort nun einen Dreisparten-Betrieb einzurichten, setzt man in St. Pölten auf die Zukunft des Tanzes, hat Michael Birkmeyer als Intendant berufen, der dort das volle Veranstaltungsprogramm verwaltet und als Chef der neuinstallierten abcdancecompany waltet, mit Nicolas Musin als Chefchoreograf.

Das gibt es also auch noch: nicht Abbau und Abwicklung, sondern seit zwei Jahren eine funkelnagelneue Dreizehn-TänzerInnen-Kompanie. Die Dreizehn als Glückszahl! Wo gibt es eine andere Stadt, die so mutig auf den Tanz als Zukunftshoffnung und kulturelles Identifikationsobjekt setzt (ganz sicher nicht in Wien)? Dort hat man nun nachmittags eine Enquete angesetzt, das heißt eine Befragung prominenter Tanzexperten zur Situation des Tanzes in Österreich, Männer des Theaters und der Politik, zwei Kritikerinnen, Andrea Amort und Silvia Kargl, dazu die sympathisch eloquente Tänzerin Iva Rohlik sowie Peter Breuer, Martin Puttke, Ulrich Roehm, Gerhard Brunner und als Moderatoren Birkmeyer und Edith Wolf Perez und als Stimmen aus dem Publikum Gyula Harangozo von der Budapester Staatsoper und Darrel Toulon, Ballettchef in Graz.

Es war sozusagen die Anschlussdiskussion an Düsseldorf und Essen – und so ging es auch hier um Tanz und Politik, und wie die dafür verantwortlichen Persönlichkeiten den desaströsen Entwicklungen allenthalben entgegenwirken können. Es ging um den Definitionsbedarf, um Autonomie und vor allem um die Solidarität der Tanzschaffenden und nicht zuletzt um eine Bündelung der Kräfte, wie sie sich in Deutschland peu à peu durchsetzt – und wie sie in Ungarn bereits so weit vorangeschritten ist, dass sie dort demnächst Gesetzeskraft erlangen wird.
Abends dann das neue Programm der abcdanceacompany, bei der mich zunächst die Architektur des Großen Saals und die gut einzusehende, ausgesprochen tanzeinladende Bühne beeindruckt – aber auch die grundgediegene Solidität der Tänzer mit ihrer klar ersichtlichen Ausrichtung Nederlands Dans Theater und und Ballet Rambert.

Drei Ballette: von Itzik Galili „Things I Told Nobody“, die Uraufführung der noch ganz am Anfang ihrer Karriere stehenden Nina Kripas „The Kripas“  „The Nobility of Failure“ für zwei Tänzerpaare und von William Forsythe (als erstes großes Forsythe-Ballett in Österreich) „The Vile Parody of Address“.
Der Galili eminent musikalisch (Ohrwürmer von Händel, Boccherini, Mozart und Satie), klar strukturiert, toll ausgeleuchtet und picobello getanzt. Am Schluss dann der Forsythe – für mich nach wie vor und schon 1988 ein Ärgernis als ein Quassel-Ballett mit permanent unverständlichem Gebrabbel, das empfindlich die Musik von Bach beschädigt, die als Endlosschleife aus dem Lautsprecher dröhnt. Schade um die reich und doch so kristallin reine und klare Choreografie, von den St. Pöltenern (einstudiert von Hilde Koch) schnittig und ausgesprochen elegant getanzt.

Am besten gefallen hat mir die Uraufführung von Nina Kripas – eine echte choreografische Entdeckung mit einer tollen Bewegungsfantasie. Leicht japanisch timbriert, Haiku-inspiriert (wie Neumeiers erste Stuttgarter Choreografie vor vierzig Jahren), wunderbar flüssig in die Kurvaturen der exotisch klingenden Musik eingefügt und immer wieder durch seine komplementären Figurationen dichte poetische Stimmungen suggerierend. Mit einem phänomenalen Solo für den echsenartig elastischen Eugene W. Rhodes III – ein Tänzer wie in Öl gebadet. Die junge Dame vom Jahrgang 1978 ist definitiv „a choreographer to watch“!

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