Ein paar Nachgedanken zur „Celebrate Balanchine!"-Produktion

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Stuttgart, 26/07/2004

Zum Schluss der Stuttgarter Ballett-Spielzeit die vierte Vorstellung der neuen „Celebrate Balanchine!“-Produktion. Ein volles Haus, uneingeschränkte Zustimmung, aber natürlich nicht so enthusiastisch wie bei den Cranko-Abendfüllern (oder, erstaunlicherweise, beim „Tanzsichten“-Programm mit den drei Uraufführungen von Bigonzetti, Lee und Galili). Am Schluss ein Sonder-Blumenstrauß für Marieke Lieber, die sich sichtlich bewegt verabschiedet, um zu Bigonzetti und seinem Aterballetto zu gehen.

Ein Juwel von einem Ballettabend – von der gleichen Qualität wie Robbins‘ „Dances at a Gathering“ (die in den Planungen für die nächste Spielzeit leider wieder nicht auftauchen). Choreografisch-tänzerisch sowohl als auch musikalisch. Gerade auch musikalisch – worüber sich auch das Staatsorchester im Klaren zu sein scheint, das an diesem Abend unter der Leitung von Wolfgang Heinz (wieder mit Glenn Prince als Solopianisten) musiziert, noch sensibler auf die Tänzer eingehend als bei der Premiere – mit poetisch erfüllten Pausen, die wie ein Atemholen der Choreografie anmuten. Aber natürlich mit „Serenade“, „Apollo“ und „Vier Temperamente“ eine Programmzusammenstellung für die Puristen des reinen Tanzes. Ich bewundere Anderson für seinen Mut, der genau meinem Geschmack entspricht. Aber ich verstehe auch die Leute, die sich zum Schluss etwas Spektakuläreres à la „Union Jack“, „Square Dance“ oder „Who Cares?“ gewünscht hätten.

Es ist seit der Premiere sichtlich an der Ausführung gefeilt worden – gerade auch an der Linienbegradigung in „Serenade“, die mir an diesem Abend wie ein geheimnisvolles Ritual erscheint – eine Meditation über die Essenz des Balletttanzes. Bitte weiter so! Weitergekommen ist auch Douglas Lee als Apollo, der jetzt nahtlos die rezitativische Rhetorik mit der kantablen Kür der Choreografie verbindet. Stuttgart kann sich wirklich glücklich schätzen, drei so erinnerungspräsente Apollos hervorgebracht zu haben wie Heinz Clauss, Robert Tewsley und nun also Douglas Lee. In den fabelhaften „Temperamenten“ (welch ein choreografischer Progress: „Temperamente“ – „Agon“ –„Monumento pro Gesualdo“ – Forsythe) zwei Neubesetzungen: Eric Gauthier als Melancholiker – ein bisschen zu forciert, zu selbstbewusst – und Marijn Rademaker als Phlegmatiker, der die beiden unterschiedlichen Gene seines Temperaments brillant kontrastiert, zuerst die leichte Blasiertheit, dann die lässige Nonchalance (im Grunde geht die Choreografie ja wenig auf die antike Temperamentenlehre des Hippokrates ein). Bravourös wiederum die mit einer Attacke sondergleichen über die Bühne stiebende Diana Martinez Morales als Cholerikerin – ein Amazone, die ihrem Vornamen Diana alle Ehre macht.

Was für eine Kompanie! Der anwesende Ivan Liska wird sich seine eigenen Gedanken gemacht haben – nicht zuletzt bei der Wiederbegegnung mit Maria Eichwald, gepartnert von Mikhail Kaniskin, im Duo der beiden Sanguiniker. Ein bisschen traurig bin ich, dass ein Abend von dieser Qualität von den überregionalen Tageszeitungen und ihren Großkritikern überhaupt nicht mehr registriert wird. Was waren das noch für Zeiten, als wir zu einzelnen Balanchine-Produktionen fuhren! Die haben sich gewaltig geändert – ich sehe es bei meiner eigenen (?) Zeitung und bin mir natürlich über die anderen Bedingungen heutzutage vollkommen im Klaren. Aber ich frage mich auch, ob denn Balanchine inzwischen einfach zu einer Repertoire-Konstante geworden ist. Ob nicht auch eine gewisse Balanchine-Übersättigung erfolgt ist, wie sie ja neulich von Igor Stupnikov anlässlich der St. Petersburger Premiere eines All-Balanchine-Programms konstatiert worden ist. Ich zumindest fühle mich keineswegs Balanchine-übersättigt. Sondern genieße den neuen Stuttgarter Abend als ein dreigängiges Gourmet-Menü. Und freue mich schon heute auf die Wiederaufnahme von „Celebrate Balanchine!“ am 2. Oktober!

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