Kampnagel: Jochen Roller „perform performing“

Hamburg, 30/04/2003

Nackt steht er da, ihm bleibt nur noch, zaghafte Schritte zur Seite zu absolvieren, innezuhalten und auf der Stelle zu treten, dieweil sein Geschlechtsteil wie ein Glockenklöppel hin und her schwingt - so kläglich, lächerlich sieht der unsubventionierte, aller Förderung entblößte Künstler aus. Jochen Roller, Hamburger Tänzer und Choreograph, setzt den konsequenten Schlusspunkt in seinem knapp zweistündigen Soloabend auf Kampnagel, in dem er „über den Sinn und Unsinn Tanz als Arbeit zu betrachten“ mit zum Teil kabarettreifem Text, einigen Utensilien und wenig Tanz reflektiert. An der Tafel demonstriert er im ersten Teil „No money, no love“ beispielhaft seinen Selbst-Ausbeutungsfaktor als freischaffender Künstler: 16 Tage, jeweils vier Tage pro Woche, betätigt er sich in einem „normalen“ Job wie Kleidung verkaufen, Briefe eintüten oder austragen, Aerobicunterricht abhalten, in einem Call-Center arbeiten, als Parkwächter oder Nachtportier die Zeit absitzen, elektronische Muskeltrainer anbieten, um sich ein zwanzigminütiges Solo einstudieren zu können. Schließlich müssen die Lebensunterhaltungskosten erbracht werden. Als Solozitat entwickelt er nur eingeschränkte, nie ausgreifende Bewegungen, die Hände schieben die Beine von einer verdrehten Position in die andere: Resultat der Selbstausbeutung?! Besser ist es, während der Arbeit zu proben, etwa im Call-Center, wo einem der Head-Set, über Funk verbunden mit der Anrufanlage, Raum genug lässt, choreographisch kreativ zu sein. Zu seiner Probe aufs Exempel spielt Roller die Aufzeichnung eines Telefongesprächs ein. Der Parkplatzwächterjob sei dafür ungeeignet, erklärt Roller, weil die Kabine zu eng dafür sei, man sich aus ihr nicht entfernen dürfe.

Bleibt der Weg zur öffentlichen Förderung, um sich ganz dem eigenen Schaffen widmen zu können: „Gibt die Kulturbehörde Geld, ist mein Tanz etwas wert“, stellt Roller in den Raum. Wenn nicht, dann ist er nichts wert. Seine Produktion wurde von der Kulturbehörde gefördert. Im zweiten Teil „Art Gigolo“ entwickelt er die irrwitzige Vision von Hamburg als der Tendu-Stadt, die deshalb Besucher von überallher anzieht, Geld in die Kassen spült, den Aufwand für die Kunst damit rechtfertigt. Nichts verkauft sich besser als der „sweet smell of success“. Das rechtfertigt, die Besucherquote zu manipulieren, die Kritik über die eigene Produktion möglichst selber zu schreiben, den Applaus über bezahlte Claqueure zu steuern. Prompt wird, bevor das Publikum - etwa 60 Zuschauer - am Schluss reagieren kann, der Beifall über Tonband eingespielt.

Jochen Roller, der nach abgebrochener Ballettausbildung angewandte Theaterwissenschaft studierte, bleibt konsequent in der Rolle des kühlen Berichterstatters, der sich selbst und seine eigene Arbeit wie unter einem Mikroskop betrachtet. Latente Verzweiflung, vielleicht gar kalte Wut können dennoch herausgelesen werden. Schließlich wird allenthalben der freien - und oft auch der „angestellten“ - Tanzkunst, gleich welcher Art, die Luft abgeschnürt. Roller allerdings macht nicht den Eindruck, als würde er unter diesen Umständen seine Ambitionen als Tänzer und Choreograph aufgeben. Wäre auch schade, denn seine Präsenz auf der weitgehend leeren Spielfläche ist beeindruckend.

Weniger Text, mehr Tanz, eine gestrafftere Abfolge könnten seinem „perform performing“ (als Obertitel gewählt) nicht schaden. Beim Heraustreten aus der Halle, auf dem Vorplatz illustriert das Umfeld von Kampnagel, welche Zielsetzungen in Hamburg der Kultur vor die Nase gesetzt wurden und werden. Die Anlage ist eingemauert zwischen hochragenden, sechs- bis siebenstöckigen, brutal geometrischen Büroquadern. Der schäbige Charme der einstigen Fabrikanlage ist verschwunden, ihre Gebäude sind renoviert, für die Zwecke eines Kulturzentrums eingerichtet. Die Fassade stimmt, solange man sich nicht zur Rückseite des Komplexes begibt: Sie weist noch Zeichen der Vergangenheit auf: blanke, ziemlich schmutzige Ziegelmauern und hohe Sprossenfenster spiegeln den alternativen Anfang der Einrichtung, die ehemalige Aufbruchstimmung wider.


Weitere Aufführungen: 8. bis 11.5, jeweils 19.30 Uhr.

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