Der „Blick hinter die Kulissen“ beim Stuttgarter Ballett

„Es hatte etwas mit dem Inhalt zu tun“

Stuttgart, 20/05/2003

Die Liebe zwischen Tänzern und Publikum ist beim Stuttgarter Ballett bekanntlich grenzenlos, und sie beruht auf Gegenseitigkeit. Entsprechend sorgfältig wird diese Beziehung deshalb von beiden Seiten gepflegt, etwa beim alljährlichen „Blick hinter die Kulissen“. Unermüdlich wurden bei jeder der sieben Veranstaltungen im Kammertheater wieder Fragen zu Kostümen oder Spitzenschuhen, zum Training oder zur Interpretation gestellt und beantwortet, unermüdlich stellten sich Tänzer für Proben, Demonstrationen oder auch als Rocksänger zu Verfügung. Für den ersten Abend hatte Ballettchef Reid Anderson eigentlich „Onegin“-Soloproben angekündigt, stattdessen feilte er mit zwei verschiedenen Paaren an den „Romeo und Julia“-Pas-de-deux, mit Sue Jin Kang/Filip Barankiewicz und mit Alicia Amatriain/Jason Reilly.

Nebenbei lernte man zum Beispiel etwas über das „muscle memory“, mit dem sich Tänzer all die komplizierten Bewegungsabläufe und ihre vielen verschiedenen Rollen merken können. Aber so gerne wir Andersons trockenem Witz und seiner charmanten Ironie stundenlang lauschen, und so gerne wir den Balkon-Pas-de-deux in zwei völlig unterschiedlichen Deutungen vergleichen: Viele waren wirklich gekommen, um aus erster Hand etwas über die Interpretation von „Onegin“, Crankos philosophischstem Handlungsballett zu erfahren.

Verklärte Augen und Nostalgie pur dann am Sonntag Nachmittag: Auf der großen Leinwand und auf drei Bildschirmen liefen alte Aufnahmen des Stuttgarter Balletts von den sechziger bis in die neunziger Jahre, so viel Material, dass man während der vier Stunden kaum alles gebührend bewundern konnte. Neben den drei großen Cranko-Fernsehverfilmungen von „Onegin“, „Romeo“ und „Zähmung“ waren es zum Beispiel Schwarzweiß-Berichte über die erste Tournee in die USA, über Gastspiele in der damaligen DDR oder im Libanon, alte Aufnahmen mit John Cranko, Interviews mit dem blutjungen Jirí Kylián über sein erstes Ballett oder mit Marcia Haydée im Schwimmdress am Pool, ein Porträt des sechzehnjährigen, piepsenden Thomas Lempertz.

Ein Bildschirm war für die Schmankerln reserviert, die der langjährige Ballett-Pressesprecher Rainer Woihsyk über die Jahre aus diversen Archiven ausgegraben hat: In einer ganz frühen „Ritter Sport“-Werbung schwingt Richard Cragun die Rumbakugeln, Birgit Keil führt ihre exklusiven Abendroben vor, und Film-Beau Horst Buchholz betrauert als schusselnder „Schwanensee“-Prinz neben Haydée die Ballettkarriere, die er nie hatte.

Der Dienstagabend war zum Abschluss der Serie Hauschoreograf Christian Spuck gewidmet. Im Gespräch mit Petra von Olschowski, der Geschäftsführerin der Kunststiftung Baden-Württemberg, erklärte er zum Beispiel, warum er für seine Ballette einen Dramaturgen beschäftigt (als Gesprächspartner und Gegenüber bei der Vorbereitung, gar nicht so sehr beim tatsächlichen Choreografieren) oder dass er die Sprache in seinen Balletten nicht unbedingt inhaltlich, sondern eher als „akustisches Element“ einsetzt. Gefragt, ob er als Choreograf eine „innere Blockade“ habe, wenn sich herausstellt, dass seine gerade entworfenen Schritte und Bewegungen womöglich denen anderer Choreografen ähneln könnten, antwortete Spuck ganz klar mit nein. Ein leichter Zweifel am tieferen Wesen moderner Choreografie kam auf, als Spuck doch tatsächlich nicht mehr einfallen wollte, warum er in seiner Stuttgarter Uraufführung „Songs“ vor eineinhalb Jahren einen lebendigen Falken auf die Bühne geholt hat: „Es hatte was mit dem Inhalt zu tun“. Ähnliches hatten wir damals auch vermutet...

Kommentare

Noch keine Beiträge