Birgit Keil mit „Zeitgenössisch jung zeitlos etabliert“

oe
Karlsruhe, 25/10/2003

Im Kleinen Haus des Badischen Staatstheaters präsentierte Birgit Keil ihr neu formiertes Karlsruher Ballett mit einem zweiteiligen Anderthalb-Stunden-Programm: „Zeitgenössisch jung – zeitlos etabliert“. Sehr zum Jubel des Premierenpublikums (das freilich bei Pierre Wyss' „Zirkus Fellini“ seinerzeit ebenso gejubelt hatte – der aber scheint inzwischen in Karlsruhe ein vergessener Mann zu sein).

Das „jung“ bezieht sich dabei offenbar auf Christian Spucks „Chaconne“ zur Ballettmusik aus Mozarts „Idomeneo“, entstanden seinerzeit für Stipendiaten der Birgit-Keil-Stiftung (inzwischen zu Profis der Karlsruher Kompanie avanciert), und auf Terence Kohlers „just before falling“ zu Musik von Bach und Cage. Kohler, inzwischen neunzehn, studiert noch an der weiter von Keil geleiteten Mannheimer Akademie, die mit neun ihrer Absolventen am Ballettstudio des Badischen Staatstheaters beteiligt ist. Er versteht sein im Vorjahr entstandenes Stück für fünf Paare plus einen Außenseiter als „work in progress“, das inzwischen in seiner willkürlichen Addition von Bach und Cage dramaturgisch nicht unbedingt plausibler geworden ist und mit seinem verläppernden Schluss das Publikum herumraten lässt, ob es denn nun wirklich zu Ende ist oder im Dunkeln noch weiter vor sich hin munkelt.

Spucks Choreografie gibt sich, auf klassischer Basis, aber in Schläppchen getanzt, als eine Humoreske, die mit zahlreichen witzigen Pointen überrascht – ein Oktett für vier Paare, die einander an schelmischer Fußzwinkerei überbieten. Beide Ballette, auch Kohlers zwischen mehr oder weniger klassischem Linienfluss und zugespitzter eckiger Dornen-Aggressivität changierender Essay, werden von den Karlsruher Junioren mit frischer Elastizität und so integriert getanzt, dass man schon auf dem Besetzungszettel nachsehen muss, wer denn nun zu den regulären Mitgliedern der Kompanie und wer zu den Ballettstudiosi gehört.

Nach der Pause erweist Keil dann einem der Altmeister ihrer Stuttgarter Karriere die Ehre: Hans van Manen – hier nun also als „zeitlos Etablierter“. Der faszinierte zunächst mit seinem „Andante“ zum zweiten Satz aus Mozarts g-moll Sinfonie. Dabei handelt es sich, man erinnert sich gerne, um jenen meisterlichen Pas de deux als wortloses Drama, das allein aus seinen Bewegungen die widerspruchsvolle Beziehung eines Paares erzählt, für die ein Schriftsteller einen ganzen Roman benötigen würde. Von Florentina Cristali mit herausfordernd kalkulierter, gelassen kühler Souveränität zelebriert, gegen die Stoimen Todorov ebenso zähneknirschend wie frustriert in seinem Macho-Dünkel aufbegehrt, wurde er zum tänzerischen Höhepunkt des Programms: ein Juwel aus van Manens reich bestücktem erotischen Kabinett.

Ganz anders dann sein „Bits and Pieces“ aus dem Jahr 1981. Das bietet zu Musik von David Byrne und Brian Eno ein Kaleidoskop unterschiedlicher Szenen, das als watschelnder Stuhlgang beginnt, zwischendurch in einem ironisch kommentierten Pas de deux zu Mendelssohn vor sich hin nostalgiert (von Emmanuelle Heyer und Felipe Rocha mit Heile-Welt-Sehnsucht aufgeladen), und das dann als turbulentes Finale endet, durch das sich zumindest in der Premiere van Manen selbst mittels Fernbedienung zappt – ein Magier der elektronischen Choreografie, der zum Schluss auch noch das Publikum anknipst. Das ist so ein richtiges Gustostück für eine junge Kompanie, das die Karlsruher, von Keso Dekker fesch kostümiert, bravourös über die Rampe transportieren: eine gut anzusehende Truppe, deren frisch-unfromm-fröhlicher Elan das Publikum unwiderstehlich in Hochstimmung versetzt. Mit nicht weniger als acht Folgevorstellungen im November! Wenn das kein Versprechen ist!

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