„Tal“ von Louis Stiens, Tanz: Emma Antrobus, Jessica Beardsell

Spucks Abschieds-Postkarte

Unter dem Sammeltitel „On the Move“ tanzt das Ballett Zürich je ein Stück von Hans van Manen, Louis Stiens und Noch-Hausherr Christian Spuck

Spucks „Lontano“ stimmt melancholisch. Stiens’ „Tal“ dagegen hätte einen Originalitätspreis verdient.

Zürich, 15/01/2023

Christian Spuck, seit 2012 höchst erfolgreicher Chef des Balletts Zürich, wird ab nächster Spielzeit Intendant des Staatsballetts Berlin. Schon jetzt steht der Vielbeschäftigte mit einem Bein in der Schweiz, mit dem anderen in Deutschland. Und wirkt entsprechend gestresst.

In dieser Atmosphäre ist das kurze Ballett „Lontano“ entstanden, von Spuck selber als „Abschieds-Postkarte“ bezeichnet. In streng abgezirkeltem Rahmen – rechteckiger Teppich unten, sich senkende schräge Decke oben – eilen nacheinander kleine Gruppen auf die Bühne, Paare vor allem, manchmal im Doppel, dann wieder zum Pas de Trois sich erweiternd. Kleine Kunstwerke zwischen Neoklassik und Moderne, auf halbdunkler Bühne fast lautlos getanzt. Individuen sind schwer zu erkennen.

Die flüchtigen Szenen werden zusammengehalten durch kluge Raumchoreografie. 31 Mitglieder des Balletts Zürich treten auf, und sei es nur, um einen festen Rahmen um den Teppich-Schauplatz zu bilden. Auch bei dem so wandlungsfähigen Team von Tänzerinnen und Tänzern wird es viel Unruhe geben, wenn Spuck nach Berlin wechselt und ab nächster Spielzeit Cathy Marston die Ballettdirektion übernimmt.

Vor diesem Hintergrund stimmt „Lontano“ ziemlich melancholisch. Das Stück ist wohl eher beiläufig entstanden – eben eine „Abschieds-Postkarte“, unter Zeitnot verfasst. Zum Glück stehen in dieser Spielzeit aber noch zwei gewichtigere Werke des Choreografen auf dem Programm: Das Handlungsballett „Anna Karenina“ (2014) und die subtil-intensive Musik-Tanz-Inszenierung „Monteverdi“ (2022) – Christian Spucks eigentliches Abschiedswerk für Zürich.

Bewundernswert den ganzen vielseitigen Abend hindurch präsentiert sich die Philharmonia Zürich, geleitet von der lebhaften russischen Dirigentin Alevtina Iaffe, die heute im Westen arbeitet. Im Zentrum von Spucks Ballett steht das namengebende Orchesterstück „Lontano“ von György Ligeti: Eine sich steigernde Klangfläche mit feinen Mikro- und Makrostrukturen, Rhythmus kaum vorhanden, sehr anspruchsvoll für die Tanzenden.

Im Ballett „On the Move“ (1992) von Hans van Manen, das dem dreiteiligen Abend den Gesamttitel gibt, hat das Orchester das 1.Violinkonzert von Sergej Prokofjew zu bewältigen, mit der herausragenden Hanna Weinmeister als Solistin. Sie spielt versteckt im Orchestergraben, kann den starken Applaus dann aber auf der Bühne entgegennehmen. Standing Ovations gab es für den Choreografen van Manen, der letztes Jahr seinen 90. Geburtstag feiern konnte. Sein Stück über Begegnungen und Abschiede ist an Temperament, Klarheit und Finesse kaum zu übertreffen. Und alterslos.

Einen Originalitätspreis hätte Louis Stiens für die Uraufführung von „Tal“ verdient. Der junge Choreograf aus der Stuttgarter Schule, seit kurzem freischaffend, hat ein dreidimensionales Ungetüm auf die Bühne stellen lassen, aussehend wie eine Mischung aus Urgestein und Riesenmuschel (Bühnenbild Bettina Katja Lange). Darauf und daneben bewegen sich Tänzerinnen und Tänzer in hautfarbenen Bodys, fast nackt wirkend. Zu Musikstücken von Debussy und Ravel, vermischt mit stürmischen Naturgeräuschen, klettern, rutschen, gleiten, robben sie herum. Wie die ersten Menschen auf der Erde, aber auch wie Reptilien oder ein Schlangengezücht. Ein überaus erheiterndes Stück.

„Tal“ beschäftigt neun, „Lontano“ 31, „On the Move“ 14 Tänzerinnen und Tänzer. Einige haben das Glück, trotz dieser Vielzahl von Mitwirkenden besonders aufzufallen. So Daniel Mulligan in „Lontano“. Oder bei Hans van Manen die Paare Matthew Knight/ Michelle Willems sowie Jan Casier und Katja Wünsche. Diese ist vor elf Jahren als Solistin mit Spuck aus Stuttgart nach Zürich gekommen und tritt noch immer gewandt in allen drei Stücken des neuen Programms auf. Während Wünsches damaliger Partner William Moore letztes Jahr von der Bühne abgetreten ist. So geht nach einiger Zeit alles zu Ende.

 

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