Für Gérard
Am 14. Dezember verstarb Gérard Lemaître, der seit 1960 eine Schlüsselfigur des Nederlands Dans Theaters war.
Einer der bedeutendsten Persönlichkeiten auf der internationalen Landkarte des Tanzes des 20. und 21. Jahrhunderts ist tot. Der niederländische Tanzschöpfer Hans van Manen ist am 17. Dezember im Alter von 93 Jahren in Amsterdam verstorben – mit ihm verliert die Tanzwelt einen Künstler von zeitloser Klarheit und bestechender Konsequenz, dessen Werk Generationen von Tänzer*innen und Zuschauenden geprägt hat. Bis zuletzt blieb er den internationalen Tanzbühnen persönlich verbunden und stand in intensivem Austausch mit seinen Kolleg*innen.
Van Manens Weg zum Tanz war alles andere als geradlinig. Bereits 1945 – vor genau achtzig Jahren – schlug er mit einer Lehre zum Maskenbildner eine Theaterlaufbahn ein, doch erst im Alter von 19 Jahren entflammte seine endgültige Leidenschaft für den Tanz. Nach einer kurzen klassischen Ausbildung engagierte ihn Sonia Gaskell für ihr Ballet Recital, einen Vorläufer des Niederländischen Nationalballetts. Von 1952 bis 1958 tanzte van Manen beim Niederländischen Opera Ballett und schuf dort 1957 mit „Feestgericht“ seinen ersten preisgekrönten choreografischen Beitrag. Es folgten Stationen bei Roland Petits Ballets de Paris sowie beim Nederlands Dans Theater (NDT), dem er zunächst als Tänzer und bis 1971 als Choreograf verbunden blieb. Ab 1961 prägte er das heute weltberühmte Ensemble über ein Jahrzehnt hinweg als künstlerischer Leiter entscheidend – es sollte eines seiner zentralen Heim- und Wirkungsstätten bleiben.
Nach einer Phase freischaffender Tätigkeit schloss sich van Manen 1973 dem Amsterdamer Het Nationale Ballet als Choreograf und Ballettmeister an. Von 1988 bis 2003 wirkte er erneut als Hauschoreograf, zunächst am NDT, dann am Niederländischen Nationalballett. Sein choreografisches Œuvre umfasst über 150 Werke – darunter Meilensteine wie „Große Fuge“ (1971), „Adagio Hammerklavier“ (1973), „Fünf Tangos“ (1977), „Black Cake“ (1989) oder „The Old Man and Me“ (1996) –, die weltweit ins Repertoire zahlreicher Kompanien eingegangen sind.
War van Manen auf nahezu allen großen internationalen Bühnen des Balletts künstlerisch zu Hause, so verband ihn mit Deutschland eine besonders enge Beziehung, die weit über einen Arbeitsort hinausging. Seine Mutter war deutscher Herkunft, und er betonte oft, dass er den deutschen Kritikern seinen eigentlichen Durchbruch verdanke – eine Anerkennung, die 1993 im Deutschen Tanzpreis sowie 2000 dem Erasmuspreis gipfelte. Im deutschsprachigen Raum arbeitete er unter anderem mit dem Staatsballett Berlin, Bayerischen Staatsballett, Stuttgarter Ballett, Hamburg Ballett, Ballett am Rhein oder Wiener Staatsballett zusammen. In den Niederlanden wurde er für seine künstlerischen Verdienste zum Ritter des Oranje-Ordens geschlagen und mit dem Hendrik-Jan-Reinink-Penning ausgezeichnet – als herausragender Botschafter niederländischer Tanzkunst.
Van Manens neoklassizistische Tanzschöpfungen zeichnen sich durch eine klare, geradewegs puristische Eleganz und durch Abstraktion als Gestaltungsprinzip aus – gerne wird George Balanchine als sein zentrales Vorbild genannt, mit dem ihn ein ähnliches Credo verband: „Tanz handelt von Tanz“, lautete van Manens wohl berühmtester Satz. Und doch erzählen seine Werke stets auf ihre Weise Geschichten – nicht linear, sondern mit Blicken, Pausen und scheinbar minimalen Gesten. In der Reduktion auf das Wesentliche, das niemals vom Kern ablenkt, liegt wohl seine eigentliche Größe. Nicht umsonst wurde er als „Ingenieur des Tanzes“ bezeichnet, als Mondrian des Balletts: ein Konstrukteur von Linien und Formen, ein Poet kristallklarer Ästhetik. In der Tat sind Van Manens Werke von zeitloser visueller Schönheit, dabei aber niemals seelenlos.
Mit dem Tod Hans van Manens schließt sich ein Kapitel Tanzgeschichte – eine Ära des Balletts. Unersetzbar bleibt der große „Purist“ und Denker des Tanzes in seinen zahlreichen Tanzschöpfungen auf den Bühnen weltweit lebendig, viel mehr als nur Erinnerung. „Danke für alles, Hans!“, liest man in den sozialen Medien heute in zahlreichen Meldungen betroffener Tanzschaffender weltweit – wir schließen uns an: Danke für alles!
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