6. „Jewels“, „Schwanensee“ und Abschluss-Gala

Mariinsky-Festival 2003

München, 26/07/2003

Das Projekt, George Balanchines „Jewels“ am 25.02.2003 in Übereinstimmung mit den Stationen seines Lebens und analog zu den Provenienzen der drei Kompositionen von den beteiligten Nationen tanzen zu lassen, wurde zum schönsten Ereignis des Festivals. Die „Smaragde“ zu Musik von Gabriel Fauré tanzten Laetitia Pujol und Karl Paquette sowie Eleonora Abbagnato und Yann Bridard von der Pariser Oper, die Damen mit romantisch verspielten Port de bras und beredt-flexiblem Oberkörper, allesamt mit zielstrebiger Eleganz.

Doch das eigentliche Erlebnis für die St. Petersburger war der Auftritt der Stars vom New York City Ballet, Wendy Whelan, Maria Kowroski und (für Damian Woetzel eingesprungen) Jack Soto, die den Mittelteil „Rubine“ auf Strawinskys Capriccio tanzten. Die beiden langgliedrigen Ballerinen demonstrierten die Extensionen der Balanchine-Technik, die jazzigen Shifts und die elegante Allüre des Broadway u. a. mit mühelosen Vertikal-Spagaten und atemberaubendem Speed. In „Brillanten“ folgte der Zauber eines St. Petersburger Balls im zaristischen Russland zur 3. Symphonie von Tschaikowsky, formvollendet getanzt von Daria Pawlenko und Danila Korsuntzew an der Spitze des glänzenden Ensembles, in einem hohen Grad vergeistigt, vollendet musikalisch und stilistisch eben „brillant“! Hier insbesondere wehte nochmals der Geist des Wettbewerbs, und eindeutiger Gewinner war das Publikum.

Darüberhinaus mag man festhalten, dass Kowroski, die als Raising Star des NYCB gilt, mit ihrem unglaublich schönen Körper und ihren außergewöhnlichen Posen, souverän ausbalanciert, höchst ausdrucksstark war. Jack Soto hat die Vorstellung in letzter Minute gerettet und war, obwohl etwas außer Form, ein technisch brillanter Tänzer. Bewundernswert in ihrem Wechsel von der dramatischen Nikija-Darstellerin zur so repräsentativen, unglaublichen Adagio-Tänzerin, hat sich Daria Pawlenko an der Seite von Danila Korsuntzew nach den starken Amerikanern behauptet.

Maria Kowroski wurde am 01.03.2003 in der Rolle der Odette/Odile endgültig zu einer der interessantesten Entdeckungen des Festivals. Die junge Amerikanerin konnte die lange „Schwanensee“-Version des Mariinsky-Balletts so schnell lernen, dass sie sie lyrisch, romantisch und zugleich höchst musikalisch bewältigte. An der Seite des aristokratisch gemessenen Prinzen des weich und kantabel tanzenden Danila Korsuntzew zeigte sie stets das rechte Maß von Spannung und Flexibilität, faszinierte durch ihre Fußarbeit und Freiheit in den Schultern, hielt ihre Posen und –als wahre Schwanenkönigin auch das Ensemble, das hervorragend einstudiert war.

Die finale Galavorstellung am 02.03.2003 mit dem Titel „Tribute to Nurejev“ begann mit dem umjubelten Gastspiel des Nederlands Dans Theaters und Jirí Kyliáns „Bella Figura“, an das sich alle russischen Sehnsüchte nach einer faszinierenden Umsetzung der Reflexion über die Bedingungen von Kreativität im zeitgenössischen Tanz anknüpften. Zur Überraschung aller waren dem zweiten Teil der Gala groß projizierte Ausschnitte aus Dokumentarfilmen über Rudolf Nurejew vorangestellt. Die Nachzeichnung seines Weges von der Waganowa-Akademie über das Kirov-Theater in alle Welt hinterließ eine tiefe Wirkung im Publikum. Dann folgte eine „Suite of Dances“ zu Musik von J. S. Bach, in der Manuel Legris, mittlerweile ein alter Freund in St. Petersburg, mit seinem langen Solo vorführte, wie verspielt ein Tänzer mit der klassischen Technik umgehen kann.

„The Long Road to Freedom“ hätte das Motto dieses Stückes von Jerome Robbins sein können, und das schien auch ein Echo auf Kyliáns Choreografie und Nurejews Weg zu sein. Leider war damit aber schon der Kulminationspunkt überschritten. Auch wenn Alina Cojocaru und Johan Kobborg mit dem „Blumenfest in Genzano“ und der Balkonszene aus Kenneth MacMillans „Romeo und Julia“ noch zwei Mal auftraten, Natalia Sologub und Faruch Ruzimatow einen Pas de deux aus „Bhakti“ von Maurice Béjart tanzten und das Traumpaar des Vorjahres, Diana Vishneva und Manuel Legris in Roland Petits „Carmen“ wieder aufeinandertrafen, war die Faszination eines Aufbruchs dahin. Beim von Swetlana Sacharowa und Igor Zelensky mitreißend getanzten Pas de deux aus „Le Corsaire“ geriet das Publikum wieder angesichts des Bewährten aus dem Häuschen, wohl auch weil der lange verletzte Zelensky sein Comeback auf die Bühne des Mariinsky feierte. Als glanzlose Kehrtwende in die Vergangenheit enttäuschte der sich endlos ziehende 3. Akt von „Raymonda“ mit Agnes Letestu und Jean-Guillaume Bart.

Kommentare

Noch keine Beiträge