Ein glückliches Zusammentreffen

Polina Semionova und Igor Zelensky in „La Bayadère“ in Sankt Petersburg

St. Petersburg, 23/03/2009

Berlin in Sankt Petersburg, die Zweite: nach Mikhail Kaniskin, der am Mittwoch in „Schwanensee“ gastierte, und vor dem Auftritt von Staatsballettchef Vladimir Malakhov bei der Abschlussgala des Mariinsky-Festivals tanzte am Freitag in „La Bayadère“ eine weitere russische Ballerina des Staatsballetts Berlin mit einem Star der Sankt Petersburger Kompanie – in diesem Fall Igor Zelensky, der neben seinen seltener werdenden Auftritten beim Mariinsky-Ballett seine eigene Kompanie in Nowosibirsk leitet. An die Seite dieses vom russischen Publikum verehrten Tänzers sandte das Staatsballett Polina Semionova, die Malakhov 2002 siebzehnjährig von der Schule des Moskauer Bolschoi-Balletts direkt als Erste Solistin nach Berlin holte. Eine Kombination, die nicht nur funktionierte, sondern für eine Vorstellung auf sehr hohem tänzerischem und künstlerischem Niveau sorgte.

Bei der heute in Sankt Petersburg aufgeführten Version des 1877 von Marius Petipa in diesem Theater geschaffenen Ballettklassikers handelt es sich nicht um die von Sergei Vikharev 2002 fertig gestellte Rekonstruktion der Petipa-Fassung letzter Hand aus dem Jahr 1900, sondern weitgehend um die Version von Vladimir Ponomarev und Wachtang Tschabukiani aus dem Jahr 1941. Wie in vielen Fassungen des 20. Jahrhunderts, von denen einige auf der hier gezeigten Version basieren, fehlt der vierte Akt, in dem Petipa den Palast des Radschah bei der Vermählung von Gamzatti und Solor über der Hochzeitsgesellschaft zusammenstürzen lässt. Tatsächlich scheint nach dem Schattenakt, mit dem diese Fassung schließt, kaum mehr eine Steigerung möglich – ein Problem, mit dem vieraktige Versionen oft zu kämpfen haben, und das trotz des tänzerischen Feuerwerks des hier in den zweiten Akt verschobenen Hochzeits-Grand-Pas zwischen Gamzatti und Solor. Die Magie der Szene, in der die Corpstänzerinnen des Mariinsky perfekt synchron eine nach der anderen, Arabesque am Arabesque reihend, eine schiefe Rampe hinabschreiten, ist kaum zu überbieten – wenn auch an diesem Abend die Synchronität bei den darauffolgenden Développés kurz aussetzt.

Auf ähnlich hohem Niveau geht es weiter mit den Soli der drei Schatten, unter denen besonders Yevgenia Obratsova in der ersten Variation durch Schnelligkeit und Präzision auffällt, sowie natürlich mit den Pas de deux zwischen Nikija und Solor. Igor Zelensky zeigt als Solor eine beeindruckende Technik, die immer wieder frenetischen Szenenapplaus hervorruft – von der Dynamik seiner hohen und weiten Sprünge, bei denen er sekundenlang in der Luft bleibt, zu der Souveränität seiner Pirouetten. Gleichzeitig verleiht er seiner Figur auch darstellerisch Gestalt, vor allem am Ende des zweiten Aktes, wo er mit einem Schmerzensschrei an der Seite der toten Nikija niedersinkt. In Polina Semionova findet er eine würdige Partnerin mit vielen Facetten: während sie im dritten Akt mit selbstverständlicher Leichtigkeit endlos auf Spitze balanciert und elegisch hingebungsvoll ihren untreuen Geliebten zu sich ruft, zeigt sie sich im ersten und zweiten Akt leidenschaftlich und resolut. So weist sie den Brahmanen mit aller Entschiedenheit ab und geht wild entschlossen, ihre Liebe bis in den Tod zu verteidigen, mit dem Messer auf ihre Rivalin Gamzatti (Anastasia Matvienko) los. Letzterer gelingt es trotz ihrer durch geschmackvolle, strahlendweiße Kostüme unterstrichenen Schönheit und Grazie (die Solor zeitweise blenden) nicht einmal bei ihrer Hochzeit, bei der sie Variation und Grand Pas lupenrein geschliffen absolviert, gegen Semionovas inneres Feuer anzutanzen. Nikijas verzweifelte Variation bei der Hochzeit zeigt die beachtlichen technischen und darstellerischen Fähigkeiten der jungen Ballerina. Sie ist weniger glamourös und königlich als die Lopatkina von „Diamonds“ am Tag zuvor – mit der sie das Talent verbindet, sehr verinnerlicht und hingebungsvoll zu tanzen –, doch dafür ist jede ihrer Gesten natürlich und authentisch; zudem beherrscht sie die Kunst, durch Schritte zu erzählen. Eine Fähigkeit, die, wie beispielsweise Nikijas Variation im zweiten Akt zeigt, bei Petipa genauso nützlich sein kann wie bei Cranko, Neumeier oder MacMillan.

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