Nachwort zum Wiener Spartakel-Debakel

oe
Stuttgart, 24/04/2002

Ich stehe noch immer fassungslos vor dem Ausmaß des Wiener Spartakel-Flops. Wie konnte es dazu kommen? Wie konnte ein Opernhaus vom Rang der Wiener Staatsoper sich auf diese zwischen martialischem Pathos und süßlicher Larmoyanz echauffierende Partitur Chatschaturjans einlassen? Wie blindäugig muss man sein, um im Programmheft zu behaupten „Unter den im 20. Jahrhundert entstandenen abendfüllenden Balletten ist ‚Spartacus‘ das einzige, das an die Beliebtheit von Prokofjews ‚Romeo und Julia‘ heranreicht“ (ja, wo denn außerhalb der Sowjetunion – und was ist mit Prokofjews ‚Aschenbrödel‘ ?). Und was Anderes ist Schostakowitschs Statement über die „gewaltige Ausdrucksstärke, Überzeugungskraft und Bewegtheit“ der Musik von Chatschaturjan als ein von den damaligen Funktionären erpresstes Lippenbekenntnis – zumal wenn man an Schostakowitschs eigene Ballettmusik zum „Goldenen Zeitalter“ denkt?

Gibt es keine Kontrollmechanismen in diesem Haus? Niemanden, der Renato Zanella auf die dramaturgischen Schwachstellen, die musikalischen Unstimmigkeiten und die handwerklichen Kalamitäten seiner Inszenierung hingewiesen hätte – ganz zu schweigen von der endlosen Repetition der choreografischen Klischees? Auf die Schnapsidee der Einführung einer „Schicksalsfigur, die zu einem Drahtzieher des Geschehens wird, die symbolbeladene Figur eines Minotaurus“? Auf die hässlichen Kostüme der lappenumwickelten Gliedmaßen der Sklavinnen und die abscheulichen rotrockigen kniebestrumpften – ja, was sind sie denn nun eigentlich, die, die wie antike BDM-Mädels aussehen? Die protestiert hätten gegen den Ausverkauf so profilierter Tänzerpersönlichkeiten wie Boris Nebyla, Simona Noja, Gregor Hatala, Eva Petters. Tomislav Petranovic, Christian Rovny, Christian Musil und wie sie alle heißen weit unter ihrem künstlerischen Wert? Gegen den personellen, technischen und nicht zuletzt finanziellen Aufwand für ein derartiges künstlerisches Windei?

Der Moloch Wiener Staatsoper scheint wie ein Vampir aufgefressen zu haben, was alles an dem jungen Stuttgarter Renato Zanella talentiert, hoffnungsvoll und vielversprechend war. Nur so konnte es zu diesem künstlerischen Offenbarungseid der Wiener Staatsopern-Ballettpolitik kommen! Und noch eine Schlussbemerkung: diese so deprimierende wie frustrierende Erfahrung hat mir allein an Bahn-(!) und Hotelkosten Ausgaben in Höhe von knapp vierhundert Euro verursacht. Da werde ich mir in Zukunft doppelt und dreifach überlegen, ob eine Ballettproduktion der Wiener Staatsoper noch eine derart hohe Investition lohnt.

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