Hella Heim zum 100. Geburtstag

Eine unvergessene Menschen-Darstellerin

Stuttgart, 19/02/2002

Über John Cranko zu sprechen, weigerte sich Hella Heim rundheraus: „Ich muss dann immer weinen.“ Dabei war sie eine der bedeutendsten Cranko-Tänzerinnen, die je auf den Bühnen der Welt zu erleben waren. Vor allem ihre Darstellungen der Ammen in „Romeo und Julia“ und „Onegin“ sind es, die Hella Heim unvergesslich und noch immer unersetzlich gemacht haben. Sie hat diese Rollen in der Tat nicht gespielt, sondern wirklich gelebt. Wenn sie im Bühnenhintergrund miterleben musste, wie ihren Schützlingen ein Leid geschah, dann zuckten ihre Hände, als wolle sie mit ihnen die zu große Distanz überbrücken, ihr gespitzter, zuckender Mund schien überzuquellen von tröstenden und protestierenden Worten. Wenn man Glück hatte, dann konnte man sie an leisen Stellen sogar sprechen hören: „Tststs“ und „Wirst du wohl!“ und „Aber ja, aber ja“.

Damit hat sie nicht nur das Stuttgarter Publikum zutiefst gerührt, sondern auch die Zuschauer in aller Welt, denn Hella Heim war bis kurz vor dem Ende ihrer Karriere bei allen wichtigen Tourneen der Truppe als eines ihrer Trumpfasse dabei. Und dass sie von Romeo auf die Wange geküsst und durch die Luft gewirbelt wurde, das mochte sie besonders. Sie soll überhaupt, berichteten Kollegen, während ihrer Zeit als Ballerina der Compagnie, der sie im Jahre 1917 beitrat, ein ziemlicher „Feger“ gewesen sein, der nichts anbrennen ließ. Sie wurde noch vom württembergischen König Wilhelm II. persönlich zur Solistin ernannt.

Im Alter von 50 Jahren beendete Hella Heim schweren Herzens ihre Laufbahn und kaufte sich auf der Stelle einen Hund, den sie fortwährend um das Theater Gassi führte, um so der großen Liebe ihres Lebens wenigstens örtlich nahe sein zu können. Und so geschah es im Jahre 1962, dass der gerade ernannte Stuttgarter Ballettdirektor John Cranko in der Theaterkantine auf diese ältere Dame mit den flinken Augen aufmerksam wurde und ihr zu einer zweiten, ihrer eigentlichen Karriere verhalf.

In jedem seiner Handlungsballette schuf Cranko eine Rolle für sie, auch in seiner berühmten Inszenierung der „Lustigen Witwe“ ist sie aufgetreten, in Peter Wrights „Giselle“, in manchen Opernproduktionen - und Hella Heim verlieh diesen Partien bis weit in ihr neunzigstes Lebensjahrzehnt hinein mit ihrer wachen Vitalität und menschlichen Lauterkeit eine Größe, die sie in den Herzen des Publikums unsterblich macht. Im Jahre 1998 ist Hella Heim, viel zu früh, gestorben. Heute hätte sie ihren 100. Geburtstag feiern können. Und wie gerne hätte ihr die Stuttgarter Ballettgemeinde dazu gratuliert.

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