Die Welt des Merce Cunningham

Der 83jährige gastierte anlässlich des 50jährigen Bestehens seiner Company beim Internationalen Tanzfest Berlin

Berlin, 17/08/2002

In der Staatsoper Unter den Linden hat die Merce-Cunningham-Dance-Company mit ihrem Jubiläumsprogramm Nele Hertling, der scheidenden Leiterin des Festivals „Tanz im August“, einen nachhaltigen Auftakt beschert. Im Eröffnungsstück fanden zwei, drei und nochmal drei, insgesamt schließlich 17 Tänzer aus ruhigen Sequenzen vor einfarbigem Hintergrund zu Gruppenposen, die Beleuchtung wechselte und man sah faszinierende Silhouetten: „Pictures“, ein Meisterwerk aus dem Jahr 1984, hält Augenblicke transitorischer Ketten fest, die wie Bausteine aus dem Universum des Tanzes wirken, wenn sie bedeutsam und leicht zugleich Anklänge ans Archaische und Spielerische verbinden. Scheinbar einfach offenbart es die energetischen Prinzipien von Bewegung, und diese vielfältigen, von Cunningham an ihren Ansätzen gleichsam festgehaltenen Bewegungen stehen zueinander immer in einer Art kosmischer Korrespondenz, durch Takesiga Kosugi von der elektronischen Musik David Behrmanns untermalt. Nichts Überflüssiges stört diese Korrespondenz, in der z. B. ein kleiner Sprung auf den Moment, in dem anderswo eine Bewegung an ihr Spannungsende geführt wird, antwortet. Karg und doch erfüllt endet das Stück, auch ohne Musik seine Spannung haltend, mit einer langsam gedrehten Arabesque wie im Weltraum...

Das war aber an Gefälligem schon alles, was Cunningham seinem Publikum am ersten der beiden Abende gönnte. In „Interscape“ aus dem Jahr 2000 tanzte man vor einer Collage Robert Rauschenbergs aus Parthenon, Schlachtross, Schwan und anderen Kulturmonumenten, die auf den Trikots der 17 Tänzer fragmentarisch wiederkehren. Mit einzeln sägenden Tönen realisierte Audrey Riley das extrem auf das Konzeptionelle beschränkte Cello-Solo „One8“ von John Cage aus dem Jahr 1991. Autonom dazwischen: der Tanz. Auch seine Schritt- und Bewegungsgeräusche strukturierten die Zeit. Man sah schnell ausprobierte Bewegungen, Vergewisserungen wie die eines Tänzers, der, auf einem Bein stehend, seine von da aus erreichbaren Positionen testet. Die weit radikaler als in „Pictures“ sezierten Miniatursequenzen unterstrichen den experimentellen Charakter dieser Choreographie. Zwar hat der von Cunningham seit den 90er Jahren eingesetzte Tanzcomputer durch die gewachsene und accelerierte Kompliziertheit der Abläufe dem Publikum den Zugang erschwert, doch selbst dieses über 50minütige Austesten namens „Interscape“ hat etwas Imponierendes, das wohl in der spürbaren Seriosität dieser Arbeit begründet liegt, die, wie alle fünf Stücke dieses Gastspiels, exzellent getanzt wurde.

Noch härter für die Zuschauer und -hörer (!) kam es am zweiten Abend mit „Way Station“ von 2001 als Auftakt, in dem Takehisa Kosugi am Synthesizer mit seiner „Trilogy“ die Trommelfelle strapazierte. Die ätzende Musik pfeifender Züge, die submaritim geformten Objekte der in Warhol-Farben gehaltenen „Tripods“ von Charles Long, die fröhlich-phantasievoll geschnittenen und gemusterten Kostüme von James Hall, wie passte das alles mit den unaufhörlich repetierten Ansätzen des Tanzes zusammen? Doch auch in diesem Procedere kam es dazu, dass sich immer wieder deutliche Paar- oder Trio-Konstellationen abzeichneten und bis zum erleichtert erreichten Ende des Stücks eine gleichsam unwirkliche Spannung anhielt.

Dann endlich „Native Green“ zu John Kings „Gliss in Sighs“ für je drei Tänzer und Tänzerinnen: Auch hier zu sehen immer wieder die verzögerten Sprünge sowie Schrittkombinationen von ungeheuer heiterer Schnelligkeit. Überraschende Akzente manchmal anscheinend in sich heterogen orientierter Bewegungen und häufigere unitarische Effekte ließen diese Choreographie aus dem Jahr 1985 organischer aussehen und eingängiger wirken. Da wird beispielsweise eine Arabesque mit stützendem Partner in alle Richtungen präsentiert, und aus dem genüsslichen Kommentieren a la „Ach schau doch mal von dieser Seite, oder von der da!“ entsteht wieder ein spielerisches Hüpfen. Das ist alles genau kalkuliert und durchdacht. Man sieht das auch, und darin liegt die Einschränkung. Dennoch umgab die zauberhafte Atmosphäre, die schon „Pictures“ als choreographisches Juwel erscheinen ließ, auch „Native Green“.

Wenn man aus beiden Abenden ein Programm zusammenstellen sollte, wären diese beiden Stücke erste Wahl, vielleicht unterbrochen durch „How to Pass, Kick, Run and Fall“ aus dem Jahr 1965, das hier am Schluss stand. Dabei war es schwer, auf die acht Tänzer zu achten, die in einfachen Trainingshosen und bunten Sweatshirts den Stücktitel auf der Bühne realisierten. Denn in der Proszeniumsloge las Merce Cunningham höchstselbst, assistiert von seinem Archivar David Vaughan, „Stories from Silence“, „A Year from Monday“ und andere Texte von John Cage. Die stoische Eintönigkeit dieser Rezitation, in der beispielsweise Daisetz Teitaro Suzuki, der Vermittler des Zen-Buddhismus nach Amerika, als Inspirator der Beatniks und der nachfolgenden Hippiekultur aus den Angeln gehoben wurde, verfehlte ihre komische Wirkung nicht. Das verriet viel von Cunninghams Geist und ließ die dankenswerte Begegnung mit seiner Welt in einem frechen Geniestreich enden.

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