Balanchines „Symphony in C“ beim Stuttgarter Ballett

oe
Stuttgart, 15/11/2002

Eigentlich wollte ich mir endlich einen freien Abend machen. Aber dann verdichteten sich die Informationen, dass das Stuttgarter Ballett mit der Wiederaufnahme seines „American Masters“-Programm vom März dieses Jahres eine „Symphony in C“-Einstudierung (von Colleen Neary) böte, die zum allerbesten gehöre, was man heute auf deutschen Ballettbühnen sehen könne. Ja, einer, der es wissen musste, behauptete sogar, dass sie besser getanzt würde als vom heutigen New York City Ballet. Also freier Abend perdu! Oder doch zumindest ein Kompromiss (ich begnügte mich mit der eingangs gegebenen „Symphony in C“ und verzichtete auf den nachfolgenden „Pierrot lunaire“ und Robbins‘ „The Concert“).

Eine ganz normale Abonnementsvorstellung – volles Haus. Nun gehört „Symphony in C“ ohnehin zu meinen bevorzugten Balletten. Müsste ich mich auf fünf Ballette beschränken, die ich auf mein Inselparadies mitnehmen dürfte, Balanchines 1947 als „Le Palais de Cristal“ an der Pariser Opéra uraufgeführte Choreografie gehörte mit Sicherheit dazu, denn ich liebe diesen jungen Bizet (ein Bizet aus Mozarts Geist), und ich bewundere Balanchine, wie er mit dieser Musik umgegangen ist: ein Ballett ganz aus der St. Petersburger Tradition des klassisch-akademischen Tanzes hervorgegangen und innigst mit der Musik vermählt – ein Ballett der ewigen Jugendfrische und Spontaneität, von absoluter Klarheit und Durchsichtigkeit in seiner formalen Struktur, ein Wunderwerk der musikalisch-choreografischen Architektur.

Also den Vergleich mit der Aufführung des New York City Ballet fand ich denn doch leicht übertrieben. Aber das hat sicher auch damit zu tun, dass ich „Symphony in C“ erstmals bei einer der ersten Europa-Tourneen der Kompanie Anfang der fünfziger Jahre sah, als noch Tanaquil LeClerq, Nicholas Magallanes und Francisco Moncion zu den Tänzern gehörten. So toll sich auch gerade das Corps de ballet in die Kaskaden dieser Enchainements stürzte, der absolute Gleichklang seiner Bewegungen ließ denn doch einiges zu wünschen übrig (soll übrigens in der unmittelbar vorausgegangenen Aufführung noch präziser gewesen sein) – auch wünschte ich mir insgesamt, also nicht nur vom Corps, eine noch pointiertere Attacke. Und doch war ich wieder ganz hingerissen – „angemach“", wie man heute so sagt.

Und die Solistenbesetzung war wirklich picobello. Mit Diana Martinez Morales und Friedemann Vogel hatte das einleitende Allegro vivo die Wirkung einer Regierungserklärung (wie man sie sich von unserer gerade angetretenen Regierung gerne gewünscht hätte): Ja, so und nicht anders soll es sein (Berlins Regierender Bürgermeister hätte sicher gesagt: Und das ist auch gut so)!

Im zweiten Satz muss ich allerdings einer Sinnestäuschung erlegen sein: auf dem Besetzungszettel stand zwar Alicia Amatriain, aber die hätte ich glatt für Bridget Breiner gehalten – und deren Attacke ließ nun wirklich nichts zu wünschen übrig, gepartnert von dem sehr artigen und kavaliersmäßig zurückhaltenden Jiri Jelinek.

Der dritte Satz profitierte dann von dem markanten physischen Gegensatz der immer so fragil wirkenden, wie ein Windhauch über die Bühne wehenden Sue Jin Kang und dem kompakten Überschwang von Jason Reilly. Und dem Allegro vivace setzten dann Roberta Fernandez und Ibrahim Önal, einander an funkelnder Virtuosität überbietend, die diamantene Krone auf, bevor alle noch einmal gemeinsam vereint im Finale mit unstoppbarem Elan wie eine Lawine gegen die Rampe brandeten, stimuliert von den musikalischen Champagnerperlen, wie James Tuggle sie geradezu fußkitzelnd aus dem Staatsorchester quirlte. Ja, so liebe ich mein (na ja!) Stuttgarter Ballett!

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