Auf alle Fälle sehenswert

Neubesetzungen in Stuttgart

Stuttgart, 21/05/2002

Die Tänzer des Stuttgarter Balletts stehen unter permanentem Hochdruck. Neben den üblichen Proben für das laufende Repertoire und den Vorbereitungen für das zehntägige Palermo-Gastspiel im Juni sowie die Wiederaufnahme von David Bintleys Blutrausch-Koloss „Edward II.“ im Juli, sind die meisten von ihnen intensiv damit beschäftigt, sich auf Rollendebüts vorzubereiten. Kaum eine Aufführung der Truppe, in der nicht eine oder mehrere Partien neu besetzt wären. Oft genug tritt dabei indes das Ausprobieren an die Stelle gezielter Aufbauarbeit. Am vergangenen Wochenende waren sogar alle Hauptrollen in John Crankos Handlungsballett „Onegin“ mit Debütanten besetzt.

Für die Erste Solistin Bridget Breiner ist, wie für alle ihre Vorgängerinnen, mit der Partie der Tatjana wohl der größte Wunsch ihrer Karriere wahr geworden. Ein überaus zartes, geradezu durchscheinendes Wesen, das in einer eigenen, schwärmerischen Welt lebt, in die niemand einzudringen vermag. Als Onegin sie zum ersten Male berührt, da ringt sie erschreckt um Atem, und im Verlaufe der Handlung scheint sie ihn nie wirklich mehr zu gewinnen. Ihr Solo, nachdem Onegin sie düpiert hat, gehört zu den ganz raren Bühnenereignissen, das nur durch Explosion ihrer Seele im letzten Pas-de-deux übertroffen wird, für den Breiner sich den größten Teil ihrer Emotionen aufbewahrt hat.

Ein viel versprechendes Debüt. Es wird allerdings durch den Umstand beeinträchtigt, dass sie und ihr Partner Douglas Lee, so sehr sie auch in Tatjanas Traum die Lüfte erobern, technische Probleme damit haben, einander in die Arme zu stürzen – da wird leidenschaftliches Stürmen durch zaghaftes, zielendes Trippeln ersetzt. Aber weitere Proben werden das hoffentlich bald beheben.

Lee ist ein sehr jungenhafter, expressiver Onegin, dem zwar schon ein gerütteltes Maß an dandyhafter Arroganz eigen ist, noch nicht aber der lebensüberdrüssige Snobismus eines russischen Landadeligen. Katja Wünsche, technisch tadellos, und Mikhail Kaniskin, ein brillanter Tänzer, dessen Nervosität ihn allerdings von einer Unsicherheit in die nächste treibt, sind als Olga und Lenski ein hübsches, lächelndes Paar, dem noch ein weites Feld darstellerischer Nuancen zur Eroberung offen steht. Der Gremin des seriös agierenden, freilich viel zu jungen Jiri Jelinek macht alles in allem einen ausgezeichneten Eindruck.

Auch die Neuen der „American Masters“ im Schauspielhaus können sich sehen lassen. Hier ist Kaniskin im ersten Satz von Balanchines „Symphony in C“ ein begeisternd elastisch-kraftvoller Partner der irritierend langbeinigen Diana Martinez Morales, und Jason Reilly ein erfrischender Anblick als neuer Begleiter der königlichen Sue Jin Kang im dritten. Tetleys „Pierrot lunaire“ hat in Alexander Zaitsev einen hinreißend jugendlichen Interpreten der Titelpartie, der zeitweilig verblüffend an Egon Madsen in dieser Rolle erinnert, und in Yseult Lendvai und Jorge Nozal ebenbürtige Gegenspieler. Und dass Robbins' persiflierendes Knallbonbon „The Concert“, in welcher Besetzung auch immer, ein Reißer ist, in dem die Tänzer einmal so richtig Gas geben können, das haben Bridget Breiner als durchgeknallter Chopin-Freak und das urkomische Ehepaar Patricia Salgado und Rolando d'Alesio als neue Anführer der Rasselbande hinreichend bewiesen. Es wurde jedenfalls gelacht, dass man es bis zum Eckensee gehört haben müsste.

Kommentare

Noch keine Beiträge