„Alice im Wunderland“  von Antoine Jully
„Alice im Wunderland“ von Antoine Jully

Farbenfroh, witzig, temporeich

Eine überaus unterhaltsame „Alice im Wunderland“ am Oldenburger Staatstheater

Eine fantasievolle, ideenreiche, witzige Szenenfolge von Antoine Jully, die 75 Minuten lang am Auge des Publikums vorbeifliegt und mit unzähligen Ideen und einer Lust am Skurrilen und am Nonsense das Märchen von Alice mit den Mitteln des Balletts nacherzählt.

Oldenburg, 14/06/2021

Eine gefühlte Ewigkeit haben Antoine Jully und seine BallettCompagnie Oldenburg darauf warten müssen, ihre neue Ballettpremiere „Alice im Wunderland“ aufzuführen. Immer wieder wurde die Premiere verschoben, auf einen Tag X, irgendwann in der Zukunft. Streamen wollte Antoine Jully nicht. Als am Premierenabend der Intendant Christian Firmbach vor den Vorhang tritt und sagt: „Wie haben wir auf diesen Moment gewartet“ schlägt ihm spontan warmer Applaus entgegen! Wie sehr hatte wohl auch das Publikum darauf gewartet, wieder ins Theater zu gehen – ein festlicher Moment…

Was dann folgt, ist eine tänzerische Explosion: eine fantasievolle, ideenreiche, witzige Szenenfolge, die 75 Minuten lang am Auge des Publikums vorbeifliegt und mit unzähligen Ideen und einer Lust am Skurrilen und am Nonsense das Märchen von Alice mit den Mitteln des Balletts nacherzählt. Fantasievolle Kostüme von fast comicartigem Charakter, eine Bühne, die das Wunderland mit seinen unheimlichen oder auch skurrilen Seiten farbenfroh bebildert (Bühne und Kostüme: Karin Van Hercke) und mit Videoanimationen - von Antoine Jully selbst entworfen - Suggestivwirkung entfaltet. Vom Einsatz der Bühnentechnik für Flug- oder Klettermomente der Tänzer*innen bis hin zur temporeichen Choreografie - es ist ein überaus unterhaltsamer Abend, den Antoine Jully mit seinem Team präsentiert.

Teele Ude beeindruckt als Alice mit ihrer Tanztechnik, ihrer Komik und tänzerischen Geschmeidigkeit, ebenso Seu Kim als virtuoses Kaninchen, das immer der Zeit hinterherrennt. Das Ensemble tanzt wie immer technisch versiert und elegant und wenn z.B. bei den Waldblumen und Pilzen auch mal ein Tänzer als Blume im Tutu über die Bühne fegt – ist das alles so humorvoll und variantenreich choreografiert, dass es eine Freude ist, zuzuschauen. Bewegungsreichtum in den verrückten Szenen, eher traditionelles Partnering bei den Duetten und wunderschöne, fantasievolle Effekte, wenn die Augen und der Mund der Grinsekatze oder die Füße und Schnäbel der Flamingos im Neonlicht tanzen. Am Ende werden die Bilder dann doch etwas zu drastisch, etwa wenn die Herzkönigin, getanzt von Oliver Jones, gleich selber zum Schwert greift, da gleitet das Spiel zu sehr in eine Ballett-Pantomime ab.

Musikalisch sehr anspruchsvoll, choreografiert Antoine Jully zu einer eigenen Musikauswahl von Alfred Schnittke („Skizzen“, Choreografische Fantasie in einem Akt) und Philip Glass, dessen Musik „In the Upper Room“ ihn zu einem beeindruckenden tänzerischen Finale im 1.Teil inspiriert.

Insgesamt hätte man sich ein wenig mehr Raum für Poesie gewünscht, wie z.B. am Schluss, wenn Alices Schwester – wunderschön getanzt von Keiko Oishi – sich auch in ein Wunderland hinwegträumt oder wenn die verwandelte Raupe im letzten Moment als großer Schmetterling in die Welt davonfliegt. Denn in dem Märchen steckt auch viel Lebensweisheit: „Jeder Tag ist ein Geschenk“, wie Alice sagt „jede Stunde, jede Minute, jede Sekunde“. Und das ist auch jede Theateraufführung, die wir wieder besuchen dürfen!

Ein nicht enden wollender Applaus belohnt die Tänzer*innen und den Choreografen für ihr Durchhalten während des Lockdowns und für einen eindrucksvollen Abend.

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