„Sider“ von William Forsythe

„Sider“ von William Forsythe

Im Miteinander durch die Welt des Tanzes

Ein Blog zur Tanzplattform 2014

Carolin Jüngst, Absolventin der Theaterwissenschaft an der LMU München, ist für uns bei der Tanzplattform 2014 auf Kampnagel Hamburg und wirft einen Blick auf die eingeladenen Produktionen.

Hamburg, 01/03/2014

von Carolin Jüngst

William Forsythe – „Sider“
Nach einer leider nicht stau- und stressfreien Anfahrt zur Tanzplattform 2014 stolperte ich vom Hamburger Hauptbahnhof in Windeseile zum Kampnagel-Gelände, holte meine Karten im Kassenhaus. Während ich den Andrang von Menschen im Foyer nur noch kurz registrieren konnte, öffneten sich schon die Türen zur K6 und los ging es mit Forsythes neuer Kreation „Sider“. Die am Anfang noch erhoffte Auflösung der Unordnung in meinem Kopf wurde jedoch nicht erfüllt, sondern vielmehr von noch mehr Chaos und Unordnung begleitet. Aber dieser Optimismus war wohl sowieso fehl am Platz, denn es war ja immerhin der Auftakt dieses fünftägigen Tanzmarathons.

Ratlos und ohne eine so richtige Meinung blieb ich schließlich zurück und fragte mich, was ich denken soll. Die Verwirrung war hier wohl nicht nur ein persönlicher Nebeneffekt, sondern wird sogar gleich zu Beginn der Aufführung thematisiert, indem David Kern einen Pappkarton mit der Aufschrift „in disarray“, zu Deutsch „in Unordnung“, in den Saal trägt und die Message des Abends klar macht. Neben nur einer anderen auf Karton geschriebenen Nachricht, nämlich die nicht minder aufschlussreichen Worte „is and isn’t“, bleibt der Großteil der Kartons, die nebenbei die einzigen Requisiten im Stück sind, jedoch unbeschriftet und nimmt die Stellvertretung für ein Alles oder Nichts ein. So fungieren sie nicht nur als Schutzschilder, Bausteine oder Versteck, sondern werden ebenfalls für die Herstellung von Rhythmus und Sound eingesetzt.

Die Flucht vor Erklärung, Bedeutung oder Sinn macht sich ebenfalls in den sprachironischen sowie sprachphilosophischen Projektionen wie „He is to that as this is to him“ oder „It was to him as he was to it“ bemerkbar und wird noch durch einen Klangteppich verstärkt, der sich auf David Kerns Geplapper, jedoch in abstrahiertem Englisch, das mehr nach einer Fantasiesprache klingt, gründet. Die Bewegungsmuster der teils maskierten oder mit Kragen geschmückten Tänzer sind hochgradig komplex, wobei das Repertoire auch von Begrenztheit, Stolpern und Fallen gekennzeichnet ist und der Tanz manchmal eher wie Körperversuche oder ein Erforschen der Bewegungen wirkt.

Am Ende herrscht die gleiche Situation wie am Anfang, wobei durch die Projektion auf dem Monitor ein letzter Kommentar erscheint, der uns die Bedeutungslosigkeit und Nichtigkeit ein letztes Mal aufzeigen soll: „they were/and they weren’t“.

Eines bleibt zu sagen: ob dieser Auftakt zur Tanzplattform 2014 nun ein gelungener war oder nicht, bleibt vielleicht eine genauso offene Frage wie das Stück selbst, doch an Energie hat es auf jeden Fall nicht gefehlt.


Meg Stuart – „Built to Last“
Nachdem ich mich nach Forsythes Highspeed-Stück bald auf den Weg nach Hause und in die Horizontale aufgemacht hatte, startete ich den Donnerstag ausgeschlafen und voller neuer Energie und Freude auf Meg Stuarts „Built to Last“. Wahrscheinlich hätte ich ahnen sollen, dass der Abend genauso turbulent werden würde. Im Unterschied zu Forsythes spartanischem Bühnenbild und Gebrauch der Requisiten war man hier alleine auf der visuellen Ebene einem Overflow an Input ausgesetzt. Neben der Vielfalt auf der Bühne, u.a. bestehend aus einem an der Decke befestigten Universum aus Kugeln, einer White Box und einem aus Pappe zusammengesteckten Dinosaurier-Skeletts, ziehen die Darsteller im Laufe des Stücks immer mehr Objekte heran: von seltsam anmutenden Masken über Getreidekörbe bis hin zu langen, schwarzen und in krassem Stufenschnitt designten Perücken. Wie bereits im Programmheft angekündigt, geht es um das Monumentale, den Pathos und um Sehnsüchte. Integriert wird dieses 'Große' durch Zitate, welche pathetisch durch Worte, mit prachtvoller musikalischer Untermalung oder mit Hilfe von bekannten Bewegungsmustern kenntlich gemacht werden. All das wird auf höchst kuriose und absurde Weise inszeniert, wahrscheinlich der einzig richtige Umgang, den Meg Stuart dafür hätte finden können. Durch große Gebärden, grimassenhafte Mimik, eindrucksvolle Posen und energiegeladene, unkontrollierte Bewegungen, die die Tänzer in die völlige Erschöpfung treiben – also völlige Übertreibung und Stilisierung – setzt sich Meg Stuart mit der Kleinheit und Vergänglichkeit des Menschen gegenüber dem Monumentalen und dem Großen auseinander. Letzten Endes wird natürlich keine Lösung (wie auch?), sondern eine Komik und Lächerlichkeit gefunden, die es erträglich macht.

Dass dieses fast zweistündige und anstrengende Stück mit der Zeit seine Längen aufweist, ist ohne Zweifel. Die Frage, die ich mir stelle, ist letzten Endes auch nicht mehr die, ob man das Stück überhaupt hätte verdichten können, sondern eher wie ich es schaffe, die Längen zu überbrücken.


Sebastian Matthias – „Danserye“
Am Freitag standen dann gleich zwei Stücke für mich auf dem Programm: „Danserye“ von Sebastian Matthias und Laurent Chétouanes „15 Variationen über das Offene“.

Mit Danserye fing es an und vorab schon gesagt: es hätte gerne noch viel länger dauern dürfen. Meine Jacke und meine beiden schweren Taschen sollte oder durfte ich an der Garderobe abgeben, da jeder Zuschauer gebeten wurde, so viel wie möglich seines „Ballastes“ abzulegen, um sich freier bewegen zu können. Im Nachhinein eine wirklich gute Idee! Nachdem ich dann all meine Sachen abgegeben hatte, jedoch noch fast eine halbe Stunde warten musste, nutze ich die Zeit, in der mich mal kein TPD-Katalog oder Handy ablenken konnte, um meine Gedanken schweifen zu lassen und die bisher angeschauten Stücke wirken zu lassen.

Schließlich ging es um kurz nach 19 Uhr dann los. Beim Betreten der K2 bekam man gleich ein Armband mit kleinen Glöckchen, bei dessen Benutzung man völlig frei war, die man jedoch sowieso unbewusst betätigte, wenn man sich bewegte. Durch den Vorhang durch, stand ich schließlich im Raum, der eine einladende und gemütliche Atmosphäre verströmte. Beleuchtet und strukturiert wurde er durch drei, auf verschiedenen Höhen angebrachte Neon-Halbkreise und herumstehende Stühle, auf denen man sich zwischendurch ausruhen durfte.

Nachdem ich einen ersten Eindruck des Raumes bekommen hatte und dabei natürlich mal wieder bekannte Gesichter entdeckte, wie es bei der Tanzplattform ja gang und gäbe ist, erklang mittelalterlich anmutende Musik und der Tanzabend ging los. Die Musik zitiert über den Lauf des Stückes hinweg verschiedene Gesellschafts- und Paartänze, die jeweils durch ein paar Informationen zum Tanz eingeleitet werden. Doch die Musik fungiert nicht nur als Impulsgeber für den Tanz, sondern auch als Energiequelle, aus der die vier Tänzer schöpfen können und dessen Energie sie transformieren und weitergeben. Von ihren Bewegungen, teilweise gleitend, an anderer Stelle ruckartig oder gekennzeichnet von schwingenden Armen und Verdrehen des Körpers, konnte ich kaum meinen Blick lassen und so setzte sich die Suche nach ihnen den ganzen Abend lang fort. Dabei schaute man anderen Zuschauern, die dasselbe suchten, in die Augen, lächelte sich an, ging sich aus dem Weg oder stolperte übereinander. Auch wenn alle vier Tänzer zweifellos hervorragend waren, so stach Isaac Spencer heraus, den ich bereits bei Richard Siegals Produktion „the world to darkness and to me“ an der Göteborger Oper bestaunen konnte.

Das am Nachmittag im Panel „The Future of Dance“ ebenfalls erwähnte Thema, wie sich die Kommunikation zwischen Künstlern und Zuschauern intensivieren lässt – eine Frage, die wir zweifellos schon kennen – findet hier wohl seine Verwirklichung. Die Lösung von Sebastian Matthias: Miteinander und in Interaktion – nicht nur zwischen den Zuschauern oder Darstellern und Zuschauern, sondern auch zwischen Tänzern und Musikern, die sich aneinander schmiegen, sich anlächeln und immer wieder neue Impulse geben. Schnell ertappt man sich dabei, selbst mit einem Lächeln auf dem Gesicht durch den Raum zu gehen und so ist man fast etwas enttäuscht, wenn man diesen poetischen, atmosphärischen und verdichteten Raum wieder verlassen muss.


Laurent Chétouane – „15 Variationen über das Offene“
Noch völlig beseelt von Sebastian Matthias’ Stück, fing der zweite Teil des Abends leider schon damit an, dass ich schnell meine Sachen von der Garderobe holen und fast zur K1 rennen musste, um noch pünktlich zu kommen. Was sich die Veranstalter bei der Zeitplanung des Festivals gedacht haben, bleibt wohl allgemein ein Rätsel. Durch die Verspätung bekam ich dann auch nur noch einen Platz ganz oben, von dem jedoch letzten Endes trotzdem alles gut beobachten konnte.

Der Titel „15 Variationen über das Offene“ klang vielversprechend, komplex und uneindeutig. Offen ist auf jeden Fall die Bühne, die leer ist bis auf die drei Musiker mit Cello, Klavier und Geige, die zweifellos einen guten Job machen während des Stücks und mir durch ihre wundervollen Töne den Abend schmackhaft machen, oder sogar vielleicht retten.

Vier Tänzer, in der klassischen zwei Frauen/zwei Männer-Kombination, betreten schließlich die Bühne und los geht es mit den für Chétouane so typisch puristischen Choreografien. Zu Beginn bin ich begeistert von den interessanten Bewegungen, die mit Unmittelbarkeit und Direktheit bestechen, trotz der Tatsache, dass sie teils kraftlos, wie nicht zu Ende ausgeführt und nur angedeutet wirken. Eines ist sicher und das bleibt bis zum Ende bestehen, leer sind die Bewegungen auf keinen Fall. Belebt wird der Tanz allein durch die Authentizität der Darsteller, die, so wirkt es, viel Spaß haben und vielleicht sogar manchmal vergessen, dass sie auf der Bühne zu stehen. Der ganze Tanz und die Interaktion der Tänzer scheinen wie ein Spiel aus Berührung und Nicht-Berührung, Distanz und Nähe. Leider schafften die vier Darsteller es nicht richtig, dieses Spiel mit den Zuschauern zu teilen und so wirkte das alles irgendwann nur noch statisch und monoton, was leider bei mir irgendwann zu großer Langeweile führte.

Gegen Ende schlug sich dann die Langeweile sogar noch in Empörung und Belustigung um, und ich musste mir die Frage stellen, ob das denn wirklich alles ernst gemeint sei. Das ganze Spektakel erschien mir immer mehr wie ein kitschiger Film, in dem die Tänzer nicht mehr nur wie herumtollende, hüpfende Kinder aussahen, sondern durch die scheinbare Leichtigkeit der Bewegungen fast wirkten, als würden sie zu Vögeln werden wollen - was ihnen jedoch nebenbei auch nicht richtig gelingen sollte.
 

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