„Onegin“ von John Cranko. Tanz: Ludmila Pagliero und Karl Paquette

„Onegin“ von John Cranko. Tanz: Ludmila Pagliero und Karl Paquette

Doppeltes Rollendebüt in „Onegin“

John Crankos Meisterwerk neu besetzt an der Pariser Oper

Im prunkvollen Palais Garnier ist das Werk bereits in der dritten Aufführungsserie zu sehen. Einige Interpreten – beispielsweise Hervé Moreau, derzeit der beste Onegin der Kompanie – haben sich schon in ihre Rollen eingearbeitet.

Paris, 25/02/2014

Knapp fünf Jahrzehnte nach seiner Uraufführung beim Stuttgarter Ballett hat John Crankos „Onegin“ viele der größten Bühnen der Welt erobert: in jüngster Zeit beispielsweise die des Moskauer Bolschoi-Balletts, wo Publikum und Kritiker der „vertanzten“ Fassung von Puschkins Versroman „Eugen Onegin“ beim ersten Gastspiel des Stuttgarter Balletts noch zu Crankos Lebzeiten im Jahr 1972 zunächst mit einigem Misstrauen begegneten. Im prunkvollen Pariser Palais Garnier ist das Werk bereits in der dritten Aufführungsserie zu sehen, und einige Interpreten – beispielsweise Hervé Moreau, derzeit zweifelsohne der beste Onegin der Kompanie – haben sich schon in ihre Rollen eingearbeitet. Moreau bietet nicht nur eine schauspielerisch schlüssige Interpretation des gelangweilten Dandys, der die Liebe des idealistischen Mädchens Tatjana zunächst ausschlägt, um sich dann Jahre später der inzwischen Verheirateten zu Füßen zu werfen, sondern er meistert auch die berüchtigten Cranko-Hebungen, die im Repertoire des Balletts der Pariser Oper sonst eine Seltenheit sind, inzwischen souverän. Andere Details der Inszenierung sind hingegen etwas aus der Spur geraten, beispielsweise die übertriebene Pantomime der Amme und der Alten im zweiten Akt.

Der Erfolg von Crankos Werk beruht unter anderem darauf, dass es mit einem tänzerischen und darstellerischen Höhepunkt endet – nämlich mit der emotionsgeladenen letzten Konfrontation zwischen Tatjana und Onegin, in der vielleicht zum ersten Mal in der Ballettgeschichte ein dramatischer Knoten im Laufe eines Pas de deux mit mehreren Situationsumschwüngen durch rein choreografische Mittel gelöst wurde. Vor fünf Jahren wurde es anlässlich der Abschiedsvorstellung von Startänzer Manuel Legris ins Pariser Repertoire aufgenommen, und in wenigen Tagen gibt Isabelle Ciaravola ihren Abschied in dem Ballett, bei dessen Pariser Erstaufführung sie zur Etoile nominiert wurde.

Jedoch eignet sich „Onegin“ nicht nur für dramatische Abschiedsvorstellungen (wie beispielsweise Robert Tewsleys Abschied vom Stuttgarter Ballett im Jahr 2002), sondern auch für spannende Rollendebüts. Gleich zwei davon gab es diese Woche mit Josua Hoffalt als Onegin und Amandine Albisson als Tatjana. Der Danseur Etoile Hoffalt, der schon öfter als Lenski zu sehen war, ist – wie vor zwei Jahren Mathieu Ganio – hier gegen sein übliches Rollenfach besetzt, und es wird gewiss noch einige Vorstellungen brauchen, bis er sich in seine Figur hineinfindet. Der schlanke Hoffalt, der kaum größer ist als seine Tatjana, hat noch deutliche Schwierigkeiten mit den Hebungen, so dass es den Pas de deux an Flüssigkeit mangelt. Auch in der Interpretation müssen sich Albisson und Hoffalt, die bisher nie zusammen getanzt haben, noch aufeinander einspielen, da ihre Liebesgeschichte bis jetzt wenig überzeugt – zumal Hoffalt von Anfang bis Ende so unsympathisch, rüpelhaft und gereizt wirkt, dass Tatjanas augenblickliche Leidenschaft für ihn ebenso schwer nachvollziehbar ist wie ihr Glaube an seine Umkehr am Schluss. Tänzerisch bringt Hoffalt jedoch alle Voraussetzungen für die Rolle mit, so dass man bei einiger Feinabstimmung des Spiels bald auf eine schlüssigere Interpretation hoffen kann.

An seiner Seite gab die zarte, langgliedrige Amandine Albisson, die erst vor einigen Monaten zur „Première Danseuse“ befördert wurde, ein vielversprechendes Debüt als Tatjana, die sie mit angenehmer Zurückhaltung interpretierte. Wenn man ihr am Anfang noch die Anspannung etwas ansieht, so glänzt sie – erstaunlich für eine so junge Tänzerin – vor allem im dritten Akt, zunächst im Pas de deux mit Gremin (Vincent Cordier), zu dem sie eine liebevolle Beziehung hegt, und schließlich im Schluss-Pas de deux mit Onegin, den sie sehr kontrastreich gestaltet, mit Ausbrüchen verzweifelter Leidenschaft und abrupten, beinahe gewaltsamen Fluchtbewegungen.

Das Solistenquartett wurde komplettiert von Marion Barbeaus flatterhafter, etwas unscheinbarer Olga (auch sie gab in dieser Serie ihr Rollendebüt) und Fabien Révilions idealistischem, poetischem Lenski, der wie seine drei Kollegen an diesem Abend noch an der Abstimmung seiner Bewegungen auf die musikalischen Akzente arbeiten sollte. Trotz aller Unsicherheiten war es eine reizvolle Aufführung, in der vor allem Amandine Albisson beachtliches Entwicklungspotential offenbarte. Gewiss werden die jungen Solisten in ihren nächsten Vorstellungen Gelegenheit finden, sich stärker aufeinander einzuspielen und ihren Rollen mehr Tiefe zu verleihen.
 

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