„Anastasia“ von Kenneth MacMillan. Tanz: Lorena Sabena

„Anastasia“ von Kenneth MacMillan. Tanz: Lorena Sabena

Schatten über den Gemütern

Mit einem Doppelabend verabschiedet sich Marguerite Donlon aus Saarbrücken

Neben Donlons „Shadow“ wird ein von der Kulturstiftung des Bundes gefördertes „Tanzfonds Erbe“-Projekt gezeigt: die Rekonstruktion von Kenneth MacMillans „Anastasia“

Saarbrücken, 04/02/2014

Als Dagmar Schlingmann 2005 die Generalintendanz des Saarbrückener Staatstheaters übernahm, war die Tanzwelt im kleinsten Bundesland noch in Ordnung. Das heißt, die neue Frau an der Spitze des Staatstheaters fand mit der Donlon Dance Company eine bei Publikum und Kritik gleichermaßen beliebte Tanzsparte vor. Die Irin Marguerite Donlon, seit 2001 Ballettdirektorin, hatte das Kunststück geschafft, dem Tanz made in Saarbrücken jeden provinzlerischen Beigeschmack zu nehmen und ihn in der internationalen Tanzszene fest zu etablieren.

Die umtriebige Tanzchefin, die von Inklusion Behinderter bis zur Förderung von Nachwuchstalenten, von der Gründung eines rührigen Sponsorenclubs bis zur Positionierung in überregionalen Festival-Business höchst selbständig und erfolgreich ihre Fäden gesponnen hatte, löste im Sommer 2013 ihren noch bis 2015 dauernden Vertrag vorzeitig auf. Für Eingeweihte kam dieser Schritt nicht ganz überraschend: Längst war das Tischtuch zwischen der Intendantin und ihrer Spartenleiterin gründlich zerschnitten. Marguerite Donlon, stets nicht nur für Visionen, sondern auch für konkrete Pläne gut, wünschte sich mehr Entscheidungsspielraum und Eigenständigkeit; so viel Freiheiten wollte Dagmar Schlingmann einer Spartenleiterin nicht einräumen. Am Ende ließ sich auch der saarländische Kultusminister Ulrich Commercon (SPD) nicht von Donlons Idee einer „European Dance Company“ begeistern.

Aber fluchtartig im Stich lassen wollte die Ex-Direktorin ihre Company auch nicht. Und so kam es zu der befremdlichen Situation, dass Marguerite Donlon noch als Gastchoreografin im eigenen Hause arbeitet. Dagmar Schlingmann hat inzwischen mit Stijn Celis einen international renommierten, echten Wunsch-Nachfolger gefunden. Er wird zwar mit der gleichen Anzahl von Tänzerstellen (16) rechnen dürfen, aber die eigenständige Pressestelle wurde ebenso gestrichen wie Dramaturgie und Company-Management auf eine einzige Stelle eingedampft: Damit kann der Belgier erst einmal keine allzu großen eigenständigen organisatorischen Sprünge machen, die seiner Intendantin vielleicht nicht behagen.

Marguerite Donlon hat im letzten Jahr noch ein ganz anderes, viel dramatischeres Unglück hinnehmen müssen: den Unfalltod ihres Lebensgefährten Claas Willeke. Der renommierte Musiker, moderne Komponist und Pädagoge hat vielfach die Musik für Donlons Stücke kreiert; ihm widmet sie ihre letzte Arbeit für das SST mit dem Titel „Shadow“. Und Endzeit herrscht auch in diesem Stück, in dem sie drei extreme Künstler aufeinanderprallen lässt: die literarische Wegbereiterin der Frauenbewegung, Virginia Woolf, „Nirwana“-Sänger Kurt Cobain und die Dramatikerin Sarah Kane. Alle Drei waren nicht nur herausragende Pioniere in ihrer jeweiligen künstlerischen Zunft, sondern zugleich auch Getriebene, aufgerieben zwischen innerem Anspruch und erlebter Realität: alle Drei haben ihrem Leben durch Freitod ein Ende gesetzt.

Marguerite Donlon hat für „Shadow“ ihr 2006 kreiertes „Schatten“ aufgenommen und für die ungewohnt große Company (mit Gästen über 20) aufbereitet. Den drei Hauptfiguren hat sie jeweils einen individuellen Schatten zugeordnet, die übrigen Schatten geben die Grundstimmung des inneren Zerrissen-Seins. Auf einer schrägen Ebene, die eine Ecke der Bühne beherrscht, ist Hochklettern vergebliche Sisyphusarbeit. Es braucht nicht einmal diesen Widerstand der Welt; ihre Protagonisten kämpfen mit den eigenen inneren Dämonen. In diesem Kampf bekommt der Freitod die Dimension eines friedlichen Endes.

Auch wenn die Konstruktion dieses Stückes arg verkopft daherkommt – die Faszination für die choreografische Arbeit und die Kombination aus zarten, poetischen und kraftvollen, dramatischen Momenten greift auch in diesem Stück. Es ist wahrhaftig keine versöhnliche Kost fürs Publikum. Dieses verabschiedete „seine“ Ballettchefin dennoch mit demonstrativen Standing Ovations.

Den Einstieg des Abends bildet ein von der Kulturstiftung des Bundes gefördertes "Tanzfonds Erbe"-Projekt: die Rekonstruktion von Kenneth MacMillans „Anastasia“, das Anfang der siebziger Jahre in Berlin entstand. Der Brite, ein Wegbereiter des modernen Balletts, verknüpft in der Geschichte der Frau, die glaubt, eine der offiziell ermordeten Töchter des letzten russischen Zaren zu sein, klassisch-akademisches Ballettvokabular mit stark expressionistischen Elementen, verwendete damals bereits Videosequenzen und konzentrierte sich ganz auf das Innenleben der Titelheldin, die in der Psychiatrie verwahrt und von Erinnerungen und Visionen heimgesucht wird. Auch diese beeindruckende Einstudierung (Gary Haris) unterstrich einmal mehr den Rang des Ensembles, allen voran durch Laura Halm in der Titelrolle. Das Saarländische Staatsorchester unter der Leitung von Thomas Peuschel meisterte souverän die stilistischen Gegensätze der düsteren, aber auch äußerst melodischen 6. Symphony von Bohuslav Martinu.

Nächste Vorstellungen: 8., 15. und 19.2., 15.3., 11. und 15.4.
 

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