Wiederaufnahme von Roland Petits „Fledermaus“ mit dem Wiener Staatsballett

Werden alle zu halten sein?

Alessandra Ferri hat das Wiener Tanz-Niveau blitzartig in die Höhe geschraubt

Ferri ist mit herausragenden Tänzer*innen und bei hohen Preisen mit der Wiederherstellung eines klassischen Spielplans befasst. Anmerkungen zum Start der neuen Direktion am Wiener Staatsballett.

Wien, 23/11/2025

Alexej Ratmanskys Abendfüller „Kallirhoe“ ist der erste Neuzugang in der Direktion Alessandra Ferri. Die erste Vorstellungsserie ist abgespielt, der Einkauf darf als Erfolg verbucht werden. Gewiss gibt es zu der vom American Ballet Theatre übernommenen Einstudierung etliche berechtigte Fragen. Trotzdem ist nachvollziehbar, dass Ferri mit einem runderneuerten, verjüngten und sehr starken Ensemble nicht mit einer Uraufführung, sondern mit der europäischen Erstaufführung eines opulenten Handlungsballetts begonnen hat. Eine Kreation mit einem neuen Ensemble und neuem Leitungsteam wäre kaum umsetzbar gewesen.

Der Erfolg „Kallirhoes“ beruht weniger auf der traditionellen Form des dramatischen Zweiakters, sondern vor allem auf der sehr guten Einstudierung mit einem Ensemble, das in vier verschiedenen Besetzungen aufzutrumpfen versteht. Abgesehen von tanztechnischem Können ist eine Plastizität der Auftretenden zu erleben, nahezu eine „Berauschtheit“ in der Darstellung, die in Wien doch selten zu erleben gewesen war. Vor allem in der Premieren-Besetzung unter anderen mit Wien-Rückkehrerin Madison Young in der Titelrolle, Victor Caixeta und Alessandro Frola war diese spürbar.

 Mit der Wiederaufnahme von Roland Petits an sich kurzweilig inszenierter „Fledermaus“-Parodie in Anlehnung an die gleichnamige Strauß-Operette setzt sich diese „Berauschtheit“ nicht fort. Da schlägt auf andere, wenn auch elegante Art Altbackenes durch, das möglicherweise auch Petit mehr als 45 Jahre nach der Uraufführung geändert hätte. Beim musikalisch-dreisten „Best of“-Arrangement von Douglas Gamley (unter der musikalischen Leitung von Luciano Di Martino) beschleicht zunächst einmal subtile Strauss-Kenner*innen ein ungutes Magengefühl. Übertüncht wird dieses allerdings vom szenisch wendigen, abgekarteten, slapstickartigen Spiel eines traditionellen Gutbürger-Quartetts: dem nächtlich per Fledermaus-Flügel ausschwirrenden Ehemann Johann, der daraufhin zur umschwärmten Nachtschönheit mutierenden Hausfrau Bella, dem dabei hilfreichen Freund Ulrich, der wie geschmiert und poliert die List mitträgt, und einem unumgänglichen Dienstmädchen, das auch für Klapse herhalten muss.

Aus heutiger Sicht ließe sich das perfekte Versteckspiel in der klaren Ausstattung von Jean-Michel Wilmotte gekürzt ohne Pause abspulen, zumal der Erfolg der weiblichen Verführung sonnenklar ist. Gut getanzt wird allemal. In der Einstudierung des als hinreißenden Petit-Tänzer unvergessenen Luigi Bonino, assistiert von Gillian Whittingham, zieht Davide Dato als comicartiger Ulrich mit Schnurrbart alle Register seines stupenden Könnens. Erstmals in Ferris Direktion ist die langjährige, hochgeschätzte erste Solotänzerin Olga Esina als Bella wiederzusehen. Bereits 2009 in der Wiener Premiere besetzt (mit Kirill Kourlaev und Eno Peci), ist sie damit auch in einer der einstigen Paraderollen der neuen Chefin unterwegs: mit Esprit und im ehelichen Versöhnungs-Duo im schmucklosen weißen Ganzkörpertrikot voller Schmelz und makelloser Linie. Als abenteuerlustiger Johann zeigt sich der von Ferri zum ersten Solotänzer beförderte Timoor Afshar von einer neuen Seite: spielfreudig und an technischer Sicherheit gewinnend. Zum bald auslaufenden Johann Strauss-Jahr (200. Geburtstag) das „Fledermaus“-Ballett aus dem Wiener Repertoire zu ziehen, dürfte eine Mischung aus plantechnischem Pragmatismus und Neigung gewesen sein. 

Ferri ist also mit der Wiederherstellung eines klassischen Spielplans befasst. Sie lässt das kleine Ensemble in der Volksoper, das zwar zum Staatsballett gehört, sich aber tanztechnisch auf einem anderen Niveau befindet, „Peter Pan“ von Ballettmeisterin Vesna Orlić wiederaufnehmen und fordert es mit einer „Marie Antoinette“ von Thierry Malandain mit Gästen aus der Staatsoper im Dezember heraus. Das klingt nach Konsolidierung. 

Gleichzeitig stellen sich bereits Fragen nach vermehrten Auftrittsmöglichkeiten für die ausnehmend lange Liste der acht gefeierten neuen Ersten Solotänzer*innen und der sieben bereits engagiert gewesenen Ersten Solotänzer*innen. Von den weiteren Solotänzer*innen ist hier noch gar nicht die Rede. Mit ca. 50 Vorstellungen in der Staatsoper und weniger als zehn in der Volksoper - rund zwanzig werden vor allem vom dort situierten Ensemble ausgefüllt - wird eine spannende Präsenz und Aufmerksamkeit eines neuen Wiener Staatsballetts nicht zu garantieren sein. Schon jetzt gastieren, verständlicherweise, Alessandro Frola und António Casalinho in ihren bis vor kurzem angestammten Häusern, Hamburg und München.

Immer noch sind legendäre Forderungen im Ohr: Der risikofreudige, die Wiener Welt öffnende Ballettdirektor Gerhard Brunner wünschte sich in den 1980er Jahren 100 Vorstellungen pro Spielzeit und nutzte, da die Opernchefs meist harte Verhandler sind, alle sich ergebenden Möglichkeiten für weitere Auftritte bis zum Lusterboden in der Staatsoper, aber auch Theater im Künstlerhaus und Secession. Die Relativierung dazu kam viele Jahre später vom langjährigen Opernchef Ioan Holender, der gerne sinngemäß sagte, dass das Ballett schon gebraucht werde, und zwar für die 50 Abende, an denen der Chor frei hat. Irgendwo dazwischen landet das Ensemble der Staatsoper. Rund 300 Vorstellungen spielt die Wiener Staatsoper im Haus am Ring pro Spielzeit, das Ballett somit nur rund ein Sechstel. 

Aktuell muss die Moderne an der Wiener Staatsoper noch bis März warten, dann stehen Werke von Peck, McGregor und Tharp bevor, ein weiterer Mehrteiler folgt im Mai. Zum Problem für zeitgenössische Programme könnte generell die Höhe der Eintrittskarten werden. Für „Kallirhoe“ kosten die Karten bis zu 220 Euro, für „Fledermaus“ 199 Euro, für mehrteilige Programme 199 Euro. Im Vergleich: In München zahlt man für „La Sylphide“ 88 Euro, für das mehrteilige Programm „Waves and Circles“ maximal 100 Euro; in Berlin für „Schwanensee“ 115 Euro, für Marcos Moraus „Wunderkammer“ 98 Euro. In Wien darf man freilich nicht vergessen auf das reiche und günstige Stehplatz-Angebot, die Jugend-Förder-Programme und spezifische Abo-Angebote. Eine Ballett-Karte in der Volksoper kostet bis zu 90 Euro.

Da auch in Österreich Sparen angesagt ist, wird sich wohl bei den Eintrittspreisen nicht so rasch etwas ändern. Die geringe Vorstellungsanzahl aufzubessern, könnte eher gelingen. Dem erneuerten Staatsballett und seiner schillernden Chefin wünscht man viel Kraft, Durchhaltevermögen und Aplomb.

Apropos: Zum aktuellen Gedenken an die Zerstörung der im März 1945 bombardierten Wiener Staatsoper, die Wiedereröffnung im November 1955, und damit verbunden die Aufarbeitung faschistischer Kulturpolitik, strahlte der ORF kürzlich eine neue Doku aus. Diese enthielt auch weniger Bekanntes etwa zur baulichen Rekonstruktion. Aufgelockert mit frischen Aufnahmen aus der „Verkauften Braut“, die Ende September Premiere hatte, kam die Sparte Ballett darin gar nicht vor. Lediglich Bariton Georg Nigl ließ in seinem Kurzgespräch das Wort „Tanzprobe“ fallen, wird damit aber wohl nicht die Produktion „Giselle“ gemeint haben, die gerade im Repertoire lief. Der Titel war 1955 zur Wiedereröffnung angesetzt worden.

 

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