München zeichnet aus
Zufit Simon erhält Münchner Tanzpreis
„Es ist nicht einfach, mit mir zu arbeiten“, wirft die dankbar-glückliche Preisträgerin am Ende in den Raum, als sie persönlich das Wort ergreift. „Das sage ich immer als allererstes, wenn ich neue Personen oder Tänzer kennenlerne. Ich bin kritisch; ich bin streng; ich schätze Präzision; ich kann es nicht leiden, wenn Leute zu spät sind. Ich verlange sehr viel – von mir selbst und von den anderen. Es ist nicht einfach. Und ich will immer weiter ausprobieren, forschen. Es kann auch schiefgehen, aber dieses Forschen und Ausprobieren ist für mich total wichtig.“
In ihrem Œuvre setzt sich Zufit Simon – zumeist persönlich auch auf der Bühne präsent – seit 2005 mit gesellschaftspolitischen Phänomenen auseinander. „Sie ist eine Stimme, die fest in der Münchner Landschaft des zeitgenössischen Tanzes verankert ist.“ So drückt es zu Veranstaltungsbeginn Stadtrat David Süß in Vertretung von Oberbürgermeister Dieter Reiter aus und konkretisiert gleich: „Vielfältig und facettenreich, charismatisch und präzise ist ihr Stil.“ Zufit hinterfragt, sie überprüft Stereotypen, bricht Normen auf und bettet diese dann in neue Kontexte ein. Ihr Publikum zum Nachdenken zu bewegen und in den Köpfen der Zuschauer etwas loszutreten, ist ein wichtiges Anliegen der 45-Jährigen. Gute Gründe für eine Jury – bestehend aus Eva-Elisabeth Fischer (Journalistin), Johannes Härtl (Choreograf), Serge Honegger (Dramaturg), Nina Hümpel (Journalistin, Kuratorin), Micha Purucker (Choreograf) und Karl Alfred Schreiner (Ballettdirektor des Staatstheaters am Gärtnerplatz) – „Zufit Simon in herausfordernden Zeiten“ als „die Choreografin der Stunde“ zu würdigen.
„Tanz ist das Medium, um einen Dialog zu kreieren“
Stadtrat Süß beließ es in seiner Eröffnungsrede nicht bloß beim Tanz. Dieser rückt kurzzeitig sogar ein klein wenig aus dem Fokus – wird verdrängt von der Tatsache, dass es „seit zwei Jahren bei Einrichtungen und Festivals Bedenken gibt, Simons Stücke zu zeigen, weil sie Israelin ist.“ Kein Einzelfall. „Wir wissen von vielen jüdischen Künstlerinnen und Künstlern, denen Aufträge und Engagements wegbrechen“, merkt Süß an, und „viel zu oft werden diese Fälle nicht öffentlich.“ Da schwebt über der Verleihung des Tanzpreises 2025 an Zufit Simon plötzlich so etwas wie ein städtischer Statement-Charakter – geschuldet einer aktuell sich weiter zuspitzenden gesellschaftspolitischen Lage, welche Simon wiederum ständig weiter antreibt, künstlerisch aktiv zu werden. In ihren eigenen Worten klingt das so: „Mein Kopf ist mein Mittel. Bewegung ist meine Sprache. Und die Bühne ist für mich die Plattform, um mich zu artikulieren, Fragen zu stellen, zu hinterfragen, zu konfrontieren, zu provozieren, zu protestieren und aufzuwecken. Für mich ist Tanz das Medium, um einen Dialog zu kreieren – das heißt, einen Austausch. Wenn man jedoch ein Kunstwerk oder einen Künstler boykottiert, verhindert man diesen Dialog. Es gibt keinen Austausch mehr.“
Zur Verleihungsfeier am 8. Oktober sind getanzte Ausschnitte aus „Radical Cheerleading“ auf der Bühne zu sehen – dank einer mehrminütigen Filmeinspielung, in der jeweils kurze Passagen und Kernmomente aus verschiedenen Werken chronologisch wie Trailer aufeinanderfolgend sich nach und nach zu einem packenden Blick auf Zufits Schaffen summieren. Das funktioniert vor allem deshalb, weil die Choreografin mit ihrem Uraufführungsteam Dorota Michalak, Sunayana Shetty und Cary Shiu zuvor 15 Minuten lang live Teile aus ihrem 2024 kreierten Stück „Bodies in Rebellion“ performt hat. Es ist eine knappe Kostprobe der Wiederaufnahme des eindrücklichen Abendfüllers im Schwere Reiter. Und allein diese Essenz hat es schon in sich.
Dass die Präsentation zudem anschaulich Simons՚ künstlerische Vorgehensweise aufzuzeigen vermag, ist ein toller Nebeneffekt. Denn den kreativen Prozess der Kunstform Choreografie vergleicht Micha Purucker in seiner aus Bolivien per Videobotschaft zugespielten Laudatio zutreffend mit einem Maschinenraum: „Das für den Bereich Tanz anzusprechen, scheint mir wichtig und notwendig. Gilt doch die Tänzerschaft gemeinhin als ein beschwingtes Völkchen, dem die Muse vergnügt nur so aus den Knochen purzelt. Es ist fatal und gleichzeitig auch wunderbar, dass man im Tanz nicht nur physisch arbeitet muss, sondern auch die ganzen anderen Probleme zu lösen hat. Aber dann kommt bei uns womöglich etwas heraus, das an Natürlichkeit, Spontaneität, Selbstverständlichkeit kaum zu überbieten ist.“
„Im Wettstreit der Künste hat der Tanz keinen leichten Stand“
Purucker, obwohl nicht selbst vor Ort präsent, schafft es schnell, die Stimmung einerseits erneut aufzuhellen sowie andererseits behutsam und zugleich allgemein sogar für Genre-Fremde nachvollziehbar auf leicht verletz- bzw. zerstörbare Stellen der spezifischen Kunstform Tanz aufmerksam zu machen: „Der Flow schluckt das alles weg. Im Wettstreit der Künste hat der Tanz damit keinen leichten Stand. Man unterstellt schnell mal eine gewisse Naivität der Beteiligten, Unbedarftheit – weil der, der tanzt, wenn er die Probleme gelöst hat, recht unangestrengt, spontan und eben problemlos daher kommt. Unsere Arbeit folgt aber einer anderen Logik, geht kaum sprachlich vor, und die Ergebnisse sind auch sprachlich immer schwer zu fassen. Alles ist bei uns flüchtig, alles ist fragil, vorübergehend, man kann nicht drum rumgehen, man kann es nicht liegen lassen, selten nächstes Jahr noch einmal vorbeikommen und ein zweites Mal gucken. Alles ist im Moment, im signifikanten Moment einer Aufführung.“
Ihren ersten professionellen Auftritt als Tänzerin hatte Simon, die 1980 in Kfar Sirkin östlich von Tel Aviv zur Welt kam, in „Tower of Babel“ der Company CobosMika 2002 in der Münchner Muffathalle. In München war sie außerdem in Produktionen von Micha Purucker, Stephan Herwig und Sabine Glenz beteiligt, bevor sie selber zu choreografieren begann.
Auf den kollegialen Innenblick von Micha Purucker ließ Sabine Leucht in ihrer Laudatio einen Außenblick auf die Choreografin folgen. Einen fachkundigen Außenblick mit O-Tönen, der weniger ins Biografische oder gar Private ausholte, Anekdoten bis auf die deutsche Übersetzung von Simons Vornamen (Kolibri) aussparte und sich stattdessen ganz auf die besondere Machart der Werke sowie markante Herausstellungsmerkmale der Künstlerin und deren „Zugang zum Körper“ konzentrierte.
Ihre Ausführungen beschloss Sabine Leucht mit einem Ausblick. Im Mai 2026 soll nach „Radical Cheerleading“ und „Bodies in Rebellion“ die dritte Folge von Simons „Protest-Serie“ Premiere feiern. „Hoch die Hände, Gläser, Tassen – feiern wir eine Bewegungsforscherin von schönster Sturheit und ihre klugen, fluide-präzisen und witzig-ernsten Werke.“ Zu schade, dass aufgrund der momentan grassierenden Infektionswelle im Auditorium einige Plätze leer und manch prominente Gäste ausgeblieben waren.
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