„Time of my Life“ von Kiyan Khoshoie

Die Mischung macht’s

Tanzkompanie St. Gallen mit Uraufführungen von Rachelle Anaïs Scott und Kiyan Khoshoie

In der Lokremise sorgt die Premiere von „Swiss Mix“ für einen gelungenen Saisonauftakt. Melancholie und Zartheit treffen auf Disco für sehr Fortgeschrittene.

St. Gallen, 21/09/2025

„Swiss Mix“, die erste Neuproduktion dieser Spielzeit der Tanzkompanie St. Gallen, fand in der Lokremise statt, der Außenspielstätte von „Konzert und Theater St. Gallen“. Ein guter Ort für die beiden neuen Produktionen.

Die französisch-amerikanische Choreografin Rachelle Anaïs Scott, ausgebildet an der Julliard School und nach anderen Stationen aktuell Tänzerin beim Ballett Basel, ist mit ihrer Uraufführung auch Teil eines Pilotprojekts namens „Next Steps„. Es wurde von der Tanzkompanie St. Gallen, dem Bern Ballett und dem Migros Kulturprozent-Tanzfestival Steps ins Leben gerufen. Eine begrüßenswerte neue Initiative, die in der Schweiz ansässigen choreografischen Nachwuchstalenten eine Zusammenarbeit mit professionellen Ensembles ermöglichen will.
 

„Vanishing Point“

„Vanishing Point“, Rachelle Anaïs Scotts knapp 45-minütiges Werk für Baptiste Berrin, Guang-Xuan Chen, Luís Martinez Gea, Tommaso Terribile, Emma Thesing und Ifigenia Toumpeki ist ein stringentes, aber auch verrätseltes Werk voller Schwermut, Zartheit und Verletzlichkeit. 

In der Düsternis der Bühne lassen sich ein quadratischer Tisch und zwei schwarze Stühle ausmachen. Emma Thesing und Tommaso Terribile eröffnen das Stück (dessen Musik von Davidson Jaconello stammt) mit einem Duett, dessen behutsame Kraft beeindruckt. Sie nehmen Platz am Tisch, vier vertikale Lichtsäulen (Licht: Lukas Marian) werden in den Raum geschoben, von schwarz vermummten Gestalten. Wer sind diese Eindringlinge in die Zweisamkeit? Innere Schatten, Figuren aus der Vergangenheit? 

Die Schatten werden zu realen Figuren, die die Innenwelten der Beiden spiegeln, so in einem Solo von Guang-Xuan Chen, in einem Duett von Emma Thesing und Ifigenia Toumpeki oder einem Quartett der vier Herren. Mit einem eindrucksvollen Solo von Tommaso Terribile (wiederholt stellt man fest, dass sich der genaue Blick auf Schultern, Arme und Hände mit den fein ziselierten Bewegungen lohnt) endet das atmosphärisch starke Stück, das subtil wie auch eindringlich von den unterschiedlichen Lichtstimmungen der Säulen auf ihren wechselnden Positionen mitgetragen wird. 

Rachelle Anaïs Scott hat in „Vanishing Points“ mit gutem Gespür für den Raum eine Choreografie von komplexer Finesse geschaffen. Das Werk mag hier und da ein paar kleine Längen haben, aber Scott stellt souverän unter Beweis, dass sie eine gute Wahl für die Förderung durch „Next Steps“ ist. 
 

Rock the Party

Als das Publikum nach der Pause zurück in den Saal kommt, stehen Mitch Harvey, Swane Küpper, Andrea Lippolis, Charmene Pang, Adamantia Papakyriaki, Ariadni Toumpeki und Mighao Zhao in bunt-schrägen Outfits (Kostüme Mikaela Kelly) vor den Fenstern der Lokremise. Im Hintergrund sieht man Züge den Bahnhof St. Gallen verlassen, dann fahren surrend die Verdunklungen herunter und schotten den hell erleuchtetet Bühnenraum wieder ab.

Von der „Time of my Life“, so der Titel der Uraufführung des schweizerisch-iranischen Tänzers und Choreografen Kiyan Khoshoie, scheinen die Sieben weit entfernt. Die Blicke sind starr, alle wirken latent verklemmt, hier und da wird an den Klamotten gezuppelt, nervös Kaugummi gekaut oder verschämt an einer Blume im Knopfloch geschnuppert. Jeder Blick resultiert in sofortigem Wegschauen. Ein verzweifeltes „Was mache ich eigentlich hier?“ scheint allen auf die Stirn geschrieben. Das leise, rhythmische Klopfgeräusch, das von Anfang an hörbar war, steigert sich zum Wummern (Musik Basile Rosselet) und drängt jetzt zur Bewegung. Und siehe da, peu-à-peu reihen sich wagemutige, exaltierte Ausbrüche aneinander. An schauspielerischem Talent fehlt es den Tänzer*innen wahrlich nicht, Gestik und Mimik sind sehr witzig. Fast nimmt man ihnen ab, sie würden sich erste Mal am Tanz versuchen, um dabei feststellen, wie grandios sich die entfesselte Hingabe an Bewegung und Ausdruck anfühlt. 

Die Musik stoppt plötzlich, die unvermutete Stille katapultiert alle zurück in Bewegungslosigkeit und Unbeholfenheit, die dann durchbrochen wird von bekannten Popsong-Zeilen, gesungen von den Tänzer*innen. Wieder ein urkomischer Moment. „Rock this party / Dance everybody / Make it hot in this party / Don't stop, move your body.“ Bob Sinclairs Zeilen werden wörtlich genommen, es wird abgehottet, bis die Hüllen fallen. Das Zuschauen ist ein einziger großer Spaß. „Time of my Life“ ist voller Augenzwinkern und Humor; Kiyan Khoshoie hat mit dem Werk dem Repertoire der St. Galler Kompanie ein mitreißendes Fest des Tanzes geschenkt. 

Zum begeisterten Premierenapplaus gesellen sich auch die Tänzer*innen des ersten Stücks. Eine schöne und verdiente Gesamtwürdigung, denn das Ensemble von Frank Fannar Pedersen präsentiert sich zum Saisonauftakt in hervorragender Form und mit spürbarem Teamgeist. 

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