Musik überflügelt den Tanz

„Jardin suspendu – Allein und zusammen“ in der Klosterkirche St.Gallen

St. Gallen, 27/06/2008

Vor drei Jahren wurden die St. Galler Festspiele kreiert. Sie finden im Sommer rund um den Klosterbezirk statt, der seit 25 Jahren zum Unesco-Weltkulturerbe gehört. Neben Opern- und Konzertaufführungen steht jeweils auch eine Produktion „Tanz in der Kathedrale“ auf dem Programm. Die hochbarocke Stiftskirche bildet dafür einen üppigen, fast allzu üppigen Rahmen für die Kreation, die diesmal den Titel „Jardin suspendu – Allein und zusammen“ trägt. Mitwirkende: Die Tanzkompanie des Theaters St. Gallen unter Philipp Egli, der Domorganist Willibald Guggenmos und das Zürcher Vokalensemble unter Peter Siegwart.

In der Kathedrale tanzen sieben Frauen und sechs Männer einzeln, in Paaren oder Gruppen auf einem T-förmigen Podium: vorn beim Altar eine Quer-, zwischen den Sitzreihen eine Längsbühne. Für die Choreografie zeichnet neben dem Schweizer Philipp Egli auch der Brasilianer Roberto Galvan verantwortlich. Getanzt wird meist auf nackten Füßen, wenn man das bei den schlechten Sichtverhältnissen in der Kirche überhaupt bemerkt. Ohnehin wirkt der Tanz zunächst etwas unscheinbarbar. Die Musik dominiert. Doch allmählich gewinnen die Tänzerinnen und Tänzer an Profil. Sie bringen sich mit wachsender Leidenschaft und Raffinesse in das Stück ein, erkämpfen sich immer selbstbewusster ihre Präsenz in diesem Gesamtkunstwerk. „Jardin suspendu – Allein und zusammen“ besteht musikalisch aus fünf Blöcken. Block 1, 3 und 5 stützen sich auf Orgelkompositionen des 20. Jahrhunderts (von Jeanne Demessieux, Joaquin Nin-Culmell, Jehan Alain). Domorganist Willibald Guggenmos spielt die Werke mitreißend, mal mit voller Kraft, mal in feiner Modulation. Das Orgelthema „Jardin suspendu“, das in den Titel floss, erinnert zwar an hängende Gärten und Paradies, aber auch an Endzeit. Es stammt von Jehan Alain, der im Zweiten Weltkrieg umkam. Der Tanz klingt ebenfalls nicht fröhlich aus, sondern endet mit dem Auftritt zweier am ganzen Körper zitternder Männer.

Zwischen den drei Orgelstücken singt das Vokalensemble Zürich unter Leitung von Peter Siegwart oft herzbezwingende Weisen aus Mittelalter und Renaissance (von Pierre de la Rue, Don Carlo Gesualdo di Venosa, Guillaume de Machaut, Luca Marenzio u.a.). Es sind geistliche oder weltliche Gesänge, darunter der Kirche abgetrotzte heitere Madrigale und Chansons. Einmal mischen sich die Tanzenden unter den Chor, der zuerst vorn auf der Bühne, später weiter hinten steht. „Allein und zusammen“ bezieht sich eben nicht nur auf den Tanz allein, sondern auch aufs Verhältnis von Tanz und Musik, Theater und Raum.

Die Tanzenden, auch die Männer, tragen abwechselnd farbige Röcke oder aber Hosenanzüge. Röcke sind es bei Roberto Galvan, der die Orgelpartien choreografiert hat, Beinkleider bei Philipp Egli in den gesungenen Teilen sowie am Schluss. Beide Choreografen lassen zeitgenössisch tanzen; sie setzen ihre Ideen in spirituelle wie weltliche Bilder um, bringen Krankheit und Sünde ebenso zum Ausdruck wie Lebenslust und Nächstenliebe. Im Detail wirken Galvans Tänze etwas weicher, sinnlicher, auch gewöhnlicher als die seines Kollegen. Egli kultiviert seinen stark vom Kopf mitentwickelten Tanzstil; mit seinen Abläufen von Straucheln und Fallen, von ruckartigen Bewegungen und karikaturistischen Einschüben will er nicht unbedingt gefallen. Schön sind Eglis Duette, originell die Szene mit einem Paar, das durch einen gemeinsamen Mantel unglücklich vereint ist – bis es sich endlich mit Schmerzen und Fetzen voneinander losreißen kann.

Am Schluss gab es viel Applaus. Im Gegensatz zu früher sind die Stimmen abgeflaut, die „Tanz in der Kathedrale“ ungehörig finden. Schade nur, dass „Jardin suspendu“ nur drei Mal zur Aufführung kommt bzw. kam.


Uraufführung: 25. Juni 2008 in St. Gallen, eine weitere Vorstellung noch am 29. Juni.

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