„Wings of Wealth and Woe“ von Saeed Hani, Tanz: Edgar Ioannis Avetikyan, Rafail Boumpoucheropoulos und Ensemble 

Der Bildermacher

Saeed Hani mit „Wings of Wealth and Woe“ in Görlitz

Von wegen „Du sollst dir kein Bildnis machen“! Von der Pieta bis hin zu Zitaten ikonografischer Darstellungen reicht hier die sinnliche Verführung. Das macht die nackten Körper der Tänzer*innen zu Werkzeugen einer unabdingbaren Ästhetik.

Görlitz, 02/03/2025

Etwas sperrig der Titel? Eigentlich nur auf den ersten Blick. Es ist ein Wortspiel, das sich der syrische Choreograf Saeed Hani hier gönnt. „Weal and woe“ ist die englische Entsprechung für die Wendung „Wohl und Wehe“. Nur zwei Buchstaben mehr, und schon sind wir mitten in der Kapitalismus-Kritik. Das war Hani bereits vorgegeben, als er die Einladung nach Görlitz annahm. Denn „Kapital“ lautet das Spielzeitmotto des Gerhart-Hauptmann-Theaters. Für Hani lag es nahe, das Ganze mit dem Ikarus-Mythos zu verweben. Daher die Flügel im Titel. 

Interessanterweise war es aber nicht etwa Massimo Gerardi, der Leiter der Tanzsparte des Hauses, der Hani nach Görlitz geholt hat. Als Gerardi letzten Sommer im Haus anfing, war die gesamte Spielzeit schon durchgeplant. Es war Daniel Morgenroth höchstselbst, seines Zeichens Intendant des Theaters Görlitz-Zittau, der über Empfehlungen auf Hani aufmerksam geworden war und ihn lange vor Massimos Start eingeladen hatte. Der Rest der Geschichte kam am Samstag vor einem leider alles andere als ausverkauften Haus zur Premiere. 

Es braucht nur ein paar wenige Minuten, ein unerträgliches Stroboskopgewitter, eine Ansammlung stumm schmerzverzerrter Gesichter und eine einsame, männliche Gestalt auf einem hohen Sockel, fast nackt, mit dem Rücken zum Publikum. Und schon ist klar, dass Saeed Hani sich in erster Linie für Bilder interessiert. Er lässt seinen genussvoll ausgeleuchteten „Ikarus“ die muskulösen Arme bewegen, als wären es Flügel, alles aber überzogen, groß, und unübersehbar ästhetisch. Das ist es, die Ästhetik, die Hani in jedem Fall groß buchstabiert. Alles andere hat sich dahinter einzuordnen. Für die Wirkung seiner Ästhetik geht er mit der Company sehr weit in die Emotionen und lässt sie alles rausholen. 

Der befreite Körper im Mittelpunkt

Verspiegelte Sockel verschiedener Höhen (Hani hat auch die Bühne entworfen) brechen die Wahrnehmung, verzerren, verfremden und doppeln. Die schwarzen Kostümentwürfe von Carolin Schäfer transportieren in ihrer Asymmetrie zwar Individualität, spielen gegenüber der Haut der Tänzer*innen aber eine nebengeordnete Rolle und verschwinden deshalb auch immer wieder. Die nackte Haut selbst, der befreite Körper ist für Hanis Choreografie schon seit einiger Zeit von zentraler Bedeutung. Daraus macht er keinen Hehl. Sein Bewegungsvokabular, das sich in der Mitte zwischen Tanz und Performance zielsicher einpendelt, dient ihm zur Verwandlung der Tänzerinnen und Tänzer, die immer wieder erkennbar Zitate auf die Bühne setzen. Sei es eine Pieta oder später der gekreuzigte Heiland, seien es mythologische Chimären oder Posen aus der bildlichen Darstellung von Göttern auf antiken griechischen Vasen. Irgendwie wird immer wieder Bekanntes erkennbar, verschwindet aber auch gleich wieder, ohne übermäßig aufgeladen zu werden. So wächst der Gekreuzigte nicht automatisch zu einer religiösen Aussage. Alles bleibt vor allem Bild, trotzdem aber ohne Effekthascherei. 

Mehrdeutig bleibt alles noch dazu, fremd, nur scheinbar vertraut. Auch die mäandernden Sounds von Jakob Schumo bringen so viel Orientierung wie die Wege durch das Labyrinth des Minotaurus.

Und der Ikarus-Mythos? Das Programmheft suggeriert gleich mehrere Anknüpfungspunkte: Ungleichheit, Fremdheit und Teilung, Menschlichkeit und Einsamkeit. Diese Worte braucht es aber gar nicht. Hanis Sprache ist unmittelbar. Seine Andeutungen sind als Auslöser für eine Berührung des Publikums ausreichend. 

Dieses unbedingte visuelle Spiel mit der Ästhetik treibt er derart weit, dass er dafür auch die Dramaturgie zu opfern bereit ist. Ob er das bewusst oder unbewusst tut, ist unklar. Auf den Punkt bringt es so gesehen vielleicht die Tänzerin Elise de Heer, die irgendwann in diese geradezu übermenschliche Atmosphäre des Stücks hinein mit klarer Stimme „Heavenly Bodies“ von Douglas Dare anstimmt und singt: „Other gods just playing games.“ Ein Spiel, das unter seiner „bildschönen“ Oberfläche die eigenen Komplexitäten gar nicht so ohne weiteres preisgeben will.

An seinen Bildern wird Saeed Hani in jedem Fall weiterbauen. Dazu bekommt er auch reichlich Gelegenheit. Mit seiner in Luxembourg angesiedelten eigenen Company, Hani Dance, ist er in diesem Jahr zum Fringe Festival nach Edinburg eingeladen. Für ganze 17 Performances.

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