Träume, Schatten, Motten
Euro-Scene IV: „Onironauta“, „Sphinctérographie/Deface“ und „The long shadow of Alois Brunner“
In beiden Fällen ist die Bühne leer, sieht man von dem bisschen Nebel in „Le vent se lève“ mal ab. Es braucht auch keinen Firlefanz, um die Wirkung der Körperlichkeit in Manuel Roques irren, schweißtreibenden Akten zu garantieren. Noch vor der offiziellen Eröffnung der diesjährigen euro-scene in Leipzig hat der Kanadier mit seinem Solo die Zuschauer*innen in der „Diskothek“ des Schauspiel Leipzig komplett begeistert.
Mit dem ersten Stück, dessen Titel sich mit „Der Sturm zieht auf“ übersetzen lässt, schafft er es komplett allein, dem Publikum sinnbildliche Schweißtropfen auf die Stirn zu packen. Einen Tag später dann hat er sich für „bang bang“ Nils Levazeux als Co-Performer an die Seite geholt. Das verfehlt seine Wirkung nicht, aber auch hier hätte Roque allein schon völlig überzeugt. Davon kann man ausgehen.
Beide Stücke ähneln sich. Sie sind Spielereien für unendliche Wiederholungen simpler Bewegungsabfolgen, die durch andauernde Variationen einen eigenen Rhythmus schaffen. Um das in Worte zu fassen, braucht es eigentlich Lautmalerei, wenn auch die Bewegungen selbst keine Geräusche verursachen. Außer natürlich das Tapsen der Sneaker auf dem Tanzboden. Dafür ist der Titel des Duos „bang bang“ so ziemlich passend gewählt. Es ist das stark Physische im Ausdruck, das gerade durch die Wiederholungen immer wieder aussieht, als wäre es ein „swish“, ein „bong“ oder sonst was Klingendes. Entsprechend hört man im Publikum immer wieder vereinzelt Gekicher.
50 Minuten griffige Dramaturgie
Albern ist das aber kein bisschen. Vor allem das „Sturm“-Solo bringt eine zweite Ebene mit sich, eine Ankündigung, eine Vorahnung, dass um die Ecke etwas Größeres wartet. Deshalb hört man aus den Boxen ein anhaltendes Rauschen, ein Geräusch, das zwangsläufig an Wind denken lässt. Und diesen Sturm, der da aufzieht, den entwickelt Roque in seinem Solo durch ganz langsame Steigerung, Steigerungen in der Größe der Bewegungen, Steigerung in der Geschwindigkeit und im Nutzen des Raumes.
Ein Solo über 50 Minuten so zu gestalten, dass man als Zuschauer nicht das Interesse verliert, zumal auf einer eben leeren Bühne, ist eine immense Leistung, die Manuel Roque mal eben im Vorbeigehen schafft. Oder besser: Im Vorbeidrehen. Irgendwann dreht er sich um die eigene Achse, immer schneller, die Arme weit ausgebreitet. Und dreht sich. Und dreht sich. Minutenlang. Und während sich einem nur vom Zuschauen schon der Magen verkrampft, fragt man sich, wieso er nicht einfach umfällt. Das tut er auch dann nicht, wenn er die Drehungen stoppt. Er weiß halt, was er tut. Wie lange er dafür trainiert hat, will man besser gar nicht wissen.
Ganz offenbar entsprechend mittrainiert hat Nils Levazeux. Das Ergebnis bedeutet, dass er in „bang bang“, was für ein Wortspiel: Schritt halten kann. Während er mit fokussiertem Blick in den Bewegungsmarathon startet, geradezu wild entschlossen, schaut Manuel Roque verschmitzt aus der Wäsche, als läge in den kommenden Minuten ein herrlicher Spaß vor ihm. Dass das ein solcher ist, wünscht man beiden natürlich, vor allem angesichts der schweißtreibenden Aktion. Auch das Zwei-Mann-Stück dauert 50 Minuten, und in keiner davon lässt sich ein Nachlassen wahrnehmen, kein schwächer Werden in den Ausführungen. Über die längsten Zeitstrecken hinweg sind sie synchron, in einer Ansammlung von Schrittfolgen, die sich Nicht-Tänzer*innen aufschreiben müssten. Für die beiden scheint es eine entspannte Version von „Himmel und Hölle“ zu sein. Die Kästchen auf dem Boden kann man sich hinzudenken.
Fast ist es als beruhigend einzuordnen, dass sowohl für die Dramaturgie als auch den angetriebenen Körper in beiden Stücken zwischendurch eine längere Pause einbaut ist, ein regloses Harren, in dem Bewegung aber mitschwingt. Bis es endlich weitergeht. Schlussendlich haben beide Stücke zwar ein Ende, aber gefühlt geht das wohl immer so weiter.
Noch keine Beiträge
basierend auf den Schlüsselwörtern
Bitte anmelden um Kommentare zu schreiben