Goldener und Silberner Löwe
Die Biennale Danza 2024 mit besonderen Ehrungen
Am Ende gibt es Luftküsse für alle. Tänzer und Choreograf Trajal Harrell lieferte den Abschluss der Euro-Scene Leipzig 2025 in der ausverkauften Schaubühne Lindenfels. Harrell zeigte sein 2019 entstandenes Solo „Dancer of the year“. Darin zeigt er knapp 60 Minuten lang seinen tänzerischen Stil: In wechselnden Kostümen vibed er über einen roten Teppich. Harrells Herkunft aus dem Voguing liest sich hier wie eine ganz private Performance, in der er im stillen Kämmerlein zu verschiedenen Musiken, die er selbst über den Laptop auswählt, Dinge einfach ausprobiert. Aber nicht, ohne sich am Ende umso stärker dem Publikum zuzuwenden - mit Luftküssen zu Joe Hisiashis „A Feather in the Dusk“, wobei er jeden Zuschauenden einzeln bedenkt. „Ich werde vielleicht nicht durchkommen, aber ich versuche es“, kündigt er das Vorhaben an, und tatsächlich ist der Song am Ende der fünften Reihe zu Ende.
Die Arbeit ist freilich schon etwas älter. 2018 hat das Magazin Tanz ihn damals mit der titelgebenden Auszeichnung bedacht, das Heft aber habe er nie erhalten, witzelt er im Gespräch. So gibt diese Arbeit von heute aus gesehen vor allem einen Blick darauf, was da kommen wird. All die Elemente, die seinen Weg die nächsten Jahre prägen sollten, sind hier angelegt in einer Art Wohnzimmerversion, selbst zwei Klavierhocker sind schon dabei.
Nacktes Überleben: „Batty Bwoy“ von Harald Beharie
Nicht unbedingt aus dem Voguing aber doch aus der queeren Subkultur speist sich die Choreografie „Batty Bwoy“ des kanadisch-jamaikanischen Tänzers Harald Beharie. Er schlüpft nicht in Kostüme, sondern stellt in der Residenz des Schauspiel Leipzig gleich seinen eigenen nackten Körper zur Verfügung, indem er Zuschauenden erstmal mit dem entblößten Anus begrüßt – bei gleißendem Bühnenlicht. Der titelgebende Begriff stammt aus dem weiten Feld der homophoben Beleidigungen und verweist zugleich auf seine jamaikanische Herkunft. Drastisch und ironisch nimmt er Posen aus dem queeren Ballroom auf und wendet sie auf links. Animalisch wedelt er mit langen blonden Braids über die Bühne, kriecht und giert, versammelt alle Projektionen auf den wilden schwarzen Körper in seiner Performance.
Dazu ballert lauter Progressive Rock der norwegischen Band Ring Van Möbius aus den Boxen. Nach diesem Start auf allen Vieren wirft er dann die Perücke von sich, steht auf und moved sich nun durch weitere anrüchige Posen, die freilich im gleißenden Licht wie klinisch ausgestellt wirken. Das gleichzeitig Begehrte wie Gehasste, Objektivierte und Exotisierte verhandelt sich vor den Augen des Publikums in ein Subjekt, ein Individuum, einen Menschen. Schließlich nimmt Beharie im Zuschauerraum Platz, die Bühne ist leer, für alle die Batty Bwoys, die da noch kommen mögen und ihren ganz eigenen Weg der Selbstermächtigung gehen werden. Ganz zurecht hat diese Produktion 2023 den Hedda-Preis für die beste Tanzperformance bekommen.
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