„Traces of You and Us“ von Matthew Jared Perko. Tanz: Ethan Ribeiro, David Valencia und Emily Yetta Wohl

„Traces of You and Us“ von Matthew Jared Perko. Tanz: Ethan Ribeiro, David Valencia und Emily Yetta Wohl

Starkes Statement

Gefeierter Junge Choreograf*innen-Abend „Sparks“ am Gärtnerplatztheater

Triple Bills gibt es viele, gleich sieben Uraufführungen während einer Vorstellung erlebt man selten. Bei „Sparks“ präsentierten sieben Ensemblemitglieder ihre Kreationen, die nur am Premierenabend zu sehen waren. Ein Pech, wer es verpasst hat!

München, 25/04/2025

Ungewöhnlich düster gestaltet sich der aktuelle Tanzabend, bei dem etwas Schweres in der Luft liegt und omnipräsent ist. Deutlich reflektieren die Choreograf*innen die Themen unserer Zeit über Ausgrenzung, Feindschaft, Klimawandel, Feminismus, behandeln Fragen nach Isolation wie auch Verängstigung unserer Gesellschaft und konfrontierten uns mit ihrer eigenen Perspektive. Von wegen Tanz sei eine Kunst ohne Worte – viele Stimmen kommen an diesem Abend zur Sprache, und das ist gut so! 

Dennoch, emotionale Lichtblicke machen sich ausgesprochen rar und stammen von den beiden einzig weiblichen Beiträgen von „Sparks“: Den Auftakt markiert die auf dem gleichnamigen Booklet Maira Kalmans basierende Choreografie „Four Women Holding Things“ (Emily Yetta Wohl) und kann als Ode an die Weiblichkeit – wenn auch nicht Freude – gedeutet werden. Hier verbündet sich eine kraftvolle – immer wieder skulpturale – Frauengruppe, verteilt die Schwere der Welt auf ihren Schultern und versendet stumme Schreie. In zweidimensionalen Bewegungsreigen erkennt man eine deutliche Reverenz an Nijinskys Nymphen aus „L’Après-midi d’un faune“. Für das Finale ist Micaela Romano Serrano mit dem einzig wirklich heiteren Beitrag verantwortlich: Hier zeigt sich mit „Sit down and see what happens“ einmal mehr, warum Stühle spätestens seit Maurice Béjarts ikonischer Choreografie von 1987 ein überaus beliebtes Requisit für das Metier Tanz darstellen, und was sich mit einer einfachen Sitzgelegenheit alles anstellen lässt, wenn man drei furiose Tänzer*innen auf die Bühne lässt. 

Öde und Elektroschocks

Der Rest des Abends ist von dunklen Farb- und Stimmungswelten wie auch einer niedergedrückten Bewegungssprache bestimmt, die sich vornehmlich am Boden abspielt. Auch wenn man Matthew Jared Perkos von der Faszination der Astrologie inspiriertes Stück „Traces of You and Us“ in seiner Aussage und der ins Geschehen integrierten bzw. über den Kopf gestülpten Papierplanen nicht zu folgen vermag, überzeugt die Choreografie vor allem aufgrund des physisch überaus starken Trios (Ethan Ribeiro, David Valencia, Emily Yetta Wohl). Diese stellt in teils fließend-lyrischer Bewegungssprache eine Hommage an den choreografischen Großmeister William Forsythe dar, dessen Improvisationstechnologien Ausgangspunkt der Findung des Bewegungsmaterials waren. 

Wie man es von Alexander Hille gewohnt ist, besticht der versierte Choreograf auch in seinem jüngsten Wurf „Illegal Aliens“ mit einer besonders ausgeklügelten Dramaturgie und einem in sich stimmigen Gesamtkonzept mit aufwendigem Kostüm- und Lichtdesign wie auch vor allem einer raffinierten multimedialen Videoprojektion (Justin Urbach). Diese bietet mit ihren unheimlichen Mondlandschaften, trostlosen Eiswelten und menschenleere Dünen eine spannende Kulisse für die vier Tänzer*innen, die sich wiederholt wie Propeller über den Köpfen ihrer Tanzpartner drehen oder wie von wiederkehrenden Elektroschocks getroffen am ganzen Körper beben. Daran, dass dennoch nicht alle Hoffnung in unserer feindlichen Welt verloren ist, erinnert Judy Garlands prominent am Anfang und Ende des Stücks gelegter Evergreen „Somewhere over the rainbow“ – denn: „irgendwo auf der Welt, gibt‘s (doch noch) ein kleines bisschen Glück. Und ich träum davon in jedem Augenblick ...“

Erschütternd und eindringlich gestaltet sich „Distance They’ve Gone“ von Ethan Ribeiro, bei dem sich gleich zu Beginn ein am Boden gedrückter, gleichsam eines monotonen Mühlsteins kreiselnder Leib dreht und sich die anderen Tänzer*innen als niedergeschmetterte Individuen selbst peinigen, ihre Hälse für den imaginären Strick freigeben oder erschießen. Eingeschlossen sind sie von Lichtpegeln gleich zahlloser Gefängniszellen, in denen ihre Leiber zum Boden krachen wie gefällte Baumstämme. Ein Stück, das fraglos unter die Haut geht und einen auch nach Ende des Abends nicht loslässt.

Vielseitiges Unikat

Gestaltet sich der zweite Teil des Abends insgesamt etwas spannender als der erste, können als zwei Höhepunkte „Take me as I am, whoever I am“ und „Many Truths“ gelten, die in besonderem Maße tänzerisch wie auch choreografisch überzeugen und sich als besondere Publikumslieblinge entpuppen. 

Schlüssig legt Francesco Saverio Cuoccio das hinreißende Solo von Chia-Fen Yeh auf eine Stimme aus dem Off, die das wichtige Thema Depression in den Fokus rückt, und die Worte durch eindringliche Körpersprache dupliziert. Wie wichtig es ist, gesehen und gehört zu werden, suggeriert Cuoccio in dem anrührenden Duett mit ihm selbst, wo Vereinzelung durch geteiltes Leid und Schmerz aufgelöst wird. 

Tänzerisch grandios ist ebenfalls das anschließende und vorletzte Stück „Many Truths“ von Willer Gonçalves Rocha , das von der Vielschichtigkeit und Verführbarkeit multipler Wahrheiten handelt, vor allem aber durch eine fulminante Solistin (Micaela Romano Serrano) und ein superbes Männertrio mit großer physischer Emotionalität und ganzkörperlicher Expressivität wie auch ausgeklügelter Lichtregie überzeugt, die sich auf ideale Weise mit dem Tanz ergänzt und gleichsam selbst zur Choreografie wird. 

Das Publikum zeigt sich sichtlich begeistert von dem vielseitigen Tanzabend als Unikat, den die beim Schlussapplaus moderierende Tänzerin Jana Baldovino selbst zurecht als „priceless“ bezeichnet, auch wenn man gemäß dem überzeugenden Motto von „Sparks“ – Pay what you can! – selbst entscheiden darf, was einem der Abend wert ist. Zweifellos, auch bei dieser restlos ausverkauften Junge Choreograf*innen-Ausgabe ist der Funke dieses Abends der leisen, aber emotional lauten Töne auf seine Zuschauer*innen übergesprungen. Schon heute freut man sich auf die Fortsetzung dieses unbedingt unterstützenswerten Veranstaltungs-Formats in der Tanzstadt München!

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