„Aschenbrödel“ von Karl Afred Schreiner, Tanz: Ethan Ribeiro (Prinz) und Micaela Romano Serrano (Aschenbrödel) / Staatstheater am Gärtnerplatz

„Aschenbrödel“ von Karl Afred Schreiner, Tanz: Ethan Ribeiro (Prinz) und Ballett des Staatstheaters am Gärtnerplatz

Leichtigkeit als Prinzip

Karl Alfred Schreiners „Aschenbrödel“ eröffnet Ballettsaison

Auch mit seinem aktuellen Wurf kann der Münchner Ballettdirektor an die jüngsten Erfolge seiner Kompanie des Staatstheaters am Gärtnerplatz anknüpfen und wird für sein bezauberndes Ballettmärchen zu Johann Strauss-Klängen gefeiert - zu Recht!

München , 21/11/2025

Noch bevor sich der Vorhang auch nur annähernd schließt, bricht für die aktuelle Produktion „Aschenbrödel“ am Staatstheater am Gärtnerplatz lautstarker Beifall aus. Erneut gelingt es Ballettdirektor und Chefchoreograf Karl Alfred Schreiner, auch mit dieser ersten Ballettpremiere der neuen Spielzeit an die jüngsten Erfolge seines Ensembles anzuknüpfen und einmal mehr die enorme tänzerische Spannbreite unter Beweis zu stellen, in der sich seine Tänzer*innen in den Handschriften von Marco Goecke bis Andonis Foniadakis, von Ina Christel Johannessen bis Schreiner selbst souverän bewegen. 

Von Prokofjew zu Johann Strauss

In der Münchner Fassung wähnt man sich von Beginn an im glanzvollen Goldenen Saal des Wiener Musikvereins, dem Schauplatz des weltberühmten Neujahrskonzerts. Denn anders als die meisten „Cinderella“-Adaptionen beruht Schreiners Version nicht auf der berühmten Ballettmusik Sergei Prokofjews, sondern auf der noch immer eine Rarität darstellenden und nur fragmentarisch überlieferten Fassung des unsterblichen Walzerkönigs Johann Strauss Sohn, dessen 200. Geburtstag 2025 weltweit gefeiert wurde. Aus Schreiners eigenem biografischem Hintergrund heraus scheint es nur folgerichtig, sich für diese Fassung – eine künstlerische Welt, in der er seit Kindesbeinen zuhause ist – zu entscheiden. Und sie passt nicht zuletzt auch über das Jubiläumsjahr hinaus bestens zum Profil des operettenfreudigen Münchner Hauses.

Mit „Aschenbrödel“ hat Schreiner mit leichter Hand ein federleichtes und rundum optimistisches Ballettmärchen geschaffen – erzählt mit zeitgenössischer Tanzsprache, aber ohne Spitzenschuh. Unübersehbar trägt es seine spezifische choreografische Handschrift und reiht sich stimmig in seine Vorliebe für Handlungsstücke ein. Keines jedoch strotzte bisher vor solcher Frohnatur: Das rund 90-minütige Stück kommt nahezu gänzlich ohne Schattenseiten aus. Selbst an sich erschütternde Momente – wie das Mobbing des titelgebenden Mädchens (Micaela Romano Serrano) durch ihre herrlich zickigen Stiefschwestern (charmant-brillante Gören: Montana Dalton und Chia-Fen Yeh) oder der latent grausamen Stiefmutter (virtuos, elegant und gestisch äußerst expressiv: Yunju Lee) – verlieren durch die heiter-beschwingten Strauss-Klänge jede Düsternis, die die Grimm’sche Vorlage sonst bereithält. 

Optimistisches Ballettmärchen

Die bezaubernde Gärtnerplatz-Version von „Aschenbrödel“ versteht sich damit konsequent als Ballett für die ganze Familie – etwas, das auch fern dieser Bühne selten zu finden ist – und bietet Seh- und Hörvergnügen für alle Generationen. Besonders Kinder dürften anhand der wundersamen Tiere in Verzückung geraten, die in großer Zahl die Bühne bevölkern und nicht selten zur Hauptattraktion des Stücks werden: mal als liebevoll gefaltete Origami-Wesen, mal als prächtig kostümierte Tierfiguren – hier, wie in der gesamten Produktion, in einer großartigen Ausstattung von Bregje van Balen sowie Kaspar Glarner und Simon Schabert –, die sowohl an Beatrix Potter als auch an Christopher Wheeldons „Alice im Wunderland“ denken lassen. Diese Tiere sind – wieder einmal – die eigentlichen Freunde des Menschen, helfen kräftig am Liebesglück vom Aschenbrödel und ihrem Prinzen (Ethan Ribeiro) mit und führen die beiden trotz aller Widrigkeiten letzten Endes zusammen.

Besonders hervorzuheben und signifikant an Schreiners Version erscheint die Figur des Prinzen, die – sonst oft blass und charakterlich wenig markant – eine echte Aufwertung erfährt und beinahe zur Hauptfigur avanciert. Ähnlich wie bei John Neumeiers „Illusionen – wie Schwanensee“, das um den bayerischen Märchenkönig kreist, legt Schreiner besonderen Wert darauf, die spezifische Perspektive und Einsamkeit des Prinzen nachzuzeichnen und ihn als Identifikationsfigur zu etablieren. Als Glücksgriff neben der wunderbaren Serrano muss vor allem Ribeiro gelten, dessen Grundmotiv des permanenten Wendens und geschmeidigen Drehens – gleich eines Eiskunstläufers – und des damit immer mehr realen Raum Einnehmens bestens zum omnipräsenten Walzer-Motiv der Strauss‘schen-Klänge passt (versiert und mitreißend im Dirigat: Eduardo Browne) und sich auf das gesamte Ensemble überträgt. Gemeinsam bilden die beiden ein hinreißendes Paar, das – zuvor isoliert und einzig von seinen imaginären Tierfreunden verstanden – eine gemeinsame (Tanz-)Sprache findet, die nur ihnen beiden zu eigen ist und sie ähnlich untrennbar verbindet wie der ikonische Cinderella-Schuh.

Gerade in einer Zeit, die choreografisch oft von düsteren Handschriften geprägt ist, erweist sich „Aschenbrödel“ als ein Stück, in dem viel und herzlich gelacht werden darf: etwa wenn drei knuffige, äußerst artistische Waschbären – nicht Tauben – zur „Neuen Pizzicato-Polka“ das verweigerte Ballkleid für ihr Aschenputtel nähen; wenn der exzentrische, selbstverliebte König (Joel Distefano) mit Elvis-Presley-Allüren und einem grellgelben Schuh wie mit einem Schwert bewappnet, galoppierend über die Bühne fegt – auf der Suche nach seiner Herzensdame; oder wenn der schillernde Prinzenerzieher (tänzerisch famos: Gjergji Meshaj) die Szenerie aufmischt. Und natürlich jene subtilen, aber herrlich deutlichen Momente, in denen der Prinz seinem Aschenputtel einen tausend Bände sprechenden ungläubigen Blick zuwirft, weil er der plötzlichen Friede-Freude-Eierkuchen-Freundlichkeit von Stiefmutter und Stiefschwestern nicht so recht trauen mag. 

Herzstück und Höhepunkt

Schreiner tut gut daran, dieser konstant bunt-schillernden Heiterkeit der kurzweiligen Produktion noch eine andere Farbe beizumischen – eine, die Melancholie, Tiefe und ein starkes Sehnsuchtsmotiv in sich trägt. Das fraglose Herzstück der Choreografie ist das den Höhepunkt markierende, zartschmelzende Liebes-Pas-Deu-Deux zu Strauss‘ traumschöner „Romanze Nr. 2 für Cello und Orchester, op. 255“, in dem die beiden Liebenden endgültig zueinander finden – eine Choreografie als Hommage an die mannigfachen Möglichkeiten des Umarmens und Ineinander-Verschmelzens. Diese Momente inniger choreografischer Stimmigkeit übertreffen auch den obligatorischen Abschlusskuss: Ganz bei sich und beim anderen sind die beiden nur, wenn sie miteinander tanzen. 

Eine unbedingte Empfehlung für einen bezaubernden Tanzabend, bei dem man einfach einmal die Seele baumeln lassen und sich selten in München Wien so nahe fühlen kann wie hier. Eine starke Leistung des gesamten Ensembles – vor und hinter der Bühne –, sodass die Produktion mit Recht das Prädikat „Gesamtkunstwerk“ für sich beanspruchen darf und sicher als Eintrittskarte unter dem ein oder anderen Weihnachtsbaum landen wird. 

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