Im Kreuzfeuer äußerer Einflüsse

Anna Konjetzkys „Sound on!“ im HochX

Im Sommer ihres zwanzigsten Bühnenjahres gelingt der Münchner Choreografin ein musikalisches Tanzstück für Jugendliche, das Körper als Resonanzkörper zeigt und die Freiräume der Kunst feiert.

München, 14/07/2025

Abwartend schwebt der Finger über dem Soundpad. Auf welchem der bunten Felder darauf wird er sich gleich niederlassen? Und Biiingg… Ein elektronisch generierter Klang hallt durch das Münchner HochX. Und ein nächster folgt. Schließlich haben die vier Performer*innen, die sich eben mit einer fast kindlichen Neugier über das blinkende Ding gebeugt haben, insgesamt acht Hände und ebenso viele Zeigefinger zur Verfügung. Alle kommen allerdings nicht zum Zuge in Anna Konjetzkys neuer Produktion für Menschen ab 13 Jahren. Dafür findet der Ton seine Fortsetzung in den Körpern von Sahra Huby, Ammie Jammeh, Florence Mankenda und Cary Shiu. Im Vor- und Zurück-Rucken ihrer Hälse, im Rollen der Schultern und Weich- und Mobil-Werden der Beine – und auch ihre Stimmapparate nehmen die Schwingung auf: Sie schnalzen, summen, erzeugen etwas zwischen Körpergeräusch, Beatboxing und Rap. Und auch das Stück ist ein Hybrid, angekündigt als Zwischending aus Tanz und Konzert. „Sound on!“ heißt es, und das klingt zurecht wie ein Startsignal. Denn von Beginn an geht hier etwas los, was mit Action, aber auch viel mit Austausch zu tun hat, weil auch die Stimmen der Performer*innen wieder eingespeist werden in die Loopmachine, die Sergej Maingardt in seine elektromusikalische Komposition integriert.

Zumindest in München hat Konjetzky länger nicht mehr für junges Publikum gearbeitet. Wie schade das ist, beweist „Sound on!“. Denn nach den beiden dramaturgisch eher beliebig wirkenden „Erwachsenen“-Produktionen „Songs of Absence“ und „tomorrow...we...were“ ist ihr hier mal wieder ein Coup gelungen. Und das wie bestellt, schließlich feiert die Münchner Choreografin 2025 ihr zwanzigjähriges Bühnenjubiläum. Zwar hat das Gewebe aus Sounds, eklektischen Bewegungen und Videos dichte und weniger dichte Stellen, aber das Grundkonzept geht bestechend gut auf: Die Körper der vier Performer*innen, die helle Sneakers und bunte Mix and Match-Trainingsanzüge tragen, fungieren als Quelle und Ziel von unterschiedlichen sinnlichen Impulsen. Das Kreuzfeuerhafte ist gesellschaftlich und sozial interpretierbar. Man kann aber auch einfach den informellen Flair einer Jam Session genießen, den die drei Tänzer*innen und die sich gleichberechtig zwischen ihnen bewegende Sängerin verbreiten. Obwohl die Sprach-Ebene, für die sich die vier anfangs geraume Zeit nehmen, klare Botschaften versendet. Hadernd mit dem unverrückbaren Prinzip von Herkunft wünschen sie sich Ursprungs-Orte namens „Queer“-, „Marshmallow“- oder „In Between-Land“. Utopische Zonen ganz ohne oder mit weichen Grenzen, in denen einen niemand in Schubladen steckt oder nach Aufenthaltstiteln fragt. Fluide Bewegungen testen dazu die Grenzen des Bühnen-Raums. Nach hinten fährt der Po aus, seitlich und nach vorne Knie, rudernde Arme und eifrig aufzeigende Finger. Schließlich geht es um die Raumforderungen der jungen Generation an die Zukunft, die durch aktuelle Kriege, Klimakrise und internationale politische Backlashs grausam eng geworden ist. Wie tough muss man sein, um darin zu überleben oder sich gar zu behaupten?

Anna Konjetzky und ihr Team geben zumindest in dieser Frage Entwarnung. Man muss nicht kruppstahl-hart, sondern darf sogar marshmallow-weich sein. Und wenn die Zeiten nicht danach sind, ist die Kunst umso mehr gefordert, „strong places“ bereitzustellen, in denen man „Nein“ sagen, träumen oder scheitern darf. In „Sound On!“ besteht die Hardware dafür aus vier weißen Quadern, die zusammengestellt einen Laufsteg für verschiedene Gemütszustände oder eine größere Projektionsfläche ergeben. Vorher live gefilmte Szenen sind darunter, die wie in den sozialen Medien durch Wiederholungen ein Eigenleben entwickeln. Und Video-Readymades zeigen mehrheitlich queere oder weiblich gelesen PoCs, unter ihnen auch Cher mit der famosen Retourkutsche auf den Tipp ihrer Mutter, einen reichen Mann zu heiraten: „Mom, I am a rich man.“ 

Das Zitat wie die Schnipselästhetik sind typisch für Anna Konjetzky, die sich tief in feministische und Diversitätsdiskurse eingearbeitet hat, ohne ihre Stücke davon überwuchern lassen zu wollen. Zwischendurch fragt man sich trotzdem, ob die gewählten Beispiele den Resonanzraum für das junge Publikum nicht zu eng machen. Und Witze wie „Was ist das Gegenteil von Social Media? Social Life!“ kommen spürbar aus der Erwachsenenwelt. Dann wieder holt einen die Bewegungs-Ebene ab, auf der jede*r Vorschläge in den Ring wirft, die die Anderen aufnehmen und weiterspinnen. Und da ist es okay, dass nicht alle Körper gleich gut hineinfinden in einen Ablauf, der einem anderen fast natürlich unterläuft. Der diverse Cast hat ja auch unterschiedliche Muttersprachen, in die er den zwischen Revolte und Selbstbefragung mäandernden Sprechgesang ebenso selbstverständlich übersetzt. „Muss ich, kann ich, darf ich, soll ich?“ heißt es da zum Beispiel einmal. „Sound on!“ ruft dazu auf, alles zu dürfen und individuell zu sein. Aber so wie die Tänzer*innen die Trainingsanzüge mit den ikonischen drei Streifen nur bunt kombinieren, bewegen wir uns alle in einem Koordinatensystem äußerer Einflüsse. Die Frage ist nur, was wir daraus machen. 

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