„Spiel im Spiel“ von Ceren Oran: Tanz: Jihun Choi, Jin Lee und Máté Asbóth (v.l.n.r.)

„Spiel im Spiel“ von Ceren Oran: Tanz: Jihun Choi, Jin Lee und Máté Asbóth (v.l.n.r.)

Die beste aller Welten

Tanztheater-Produktion „Spiel im Spiel“ von Ceren Oran & Moving Borders feiert Premiere im HOCHX

Ceren Oran, Preisträgerin des Münchner Förderpreises Tanz, ist es wieder einmal gelungen, eine Theaterwelt zu erschaffen, mit der sie ihr kindliches und junggebliebenes Publikum ab 3 Jahren mit Haut und Haar verzaubert.

München, 29/09/2023

Man hört sie förmlich lachen – die vielen Kinderstimmen, die ausgerechnet bei der Premiere des für sie kreierten Stücks am Freitagmorgen nicht dabei sein konnten. Aufgrund von Personalmangel fiel eine Kita aus, wie die sympathische Choreografin Ceren Oran vor Beginn des Stücks erklärt; allerdings, so betont sie mit Augenzwinkern, kreiere sie ja nie ausschließlich für ein bestimmtes Publikum, sondern hoffe, dass sich alle etwas von der Vorstellung mitnähmen. Dies ist zweifellos gelungen.

Es ist beeindruckend, mit welch wenigen, gleichsam ‚reduzierten‘ Mitteln Oran ein Tanztheaterstück auf die Beine stellt; eines, das einem einzigen Wunderkasten gleicht, und das gleichermaßen beglückt, erstaunt wie auch trotz seiner Kürze abendfüllend unterhält. Die drei Tänzer*innen und Ko-Choreograf*innen (Jin Lee, Jihun Choi und Máte Asbóth) agieren hierin als perfekt aufeinander abgestimmtes dynamisch-lebendiges Trio voll Leichtigkeit, darstellerischer Präsenz und höchster Professionalität. Mit Mühelosigkeit erschafft das Miniatur-Ensemble eine eigene kunterbunte Welt voll Variabilität und endloser Möglichkeiten – eine Welt, die als die beste aller möglichen Welten verstanden werden muss, da sie für grenzenlosen Bewegungsradius einsteht, für unbändige Phantasie und Kreativität. Es ist die Welt des Kindes, die keine Schranken kennt.

Spielfreude als Substrat

Wenige, doch sehr bewusst eingesetzte Requisiten und Kostümteile sind nur von Nöten, um ganze Welten zu kreieren, wobei die wichtigste, substantiellste ‚Zutat‘ der immense Einfallsreichtum und die überbordende Spielfreude der drei Tänzer*innen ist – sie sind das Substrat des Stücks und der Garant für eine Verzauberung der Welt, denn die allergrösste Freude am Kind und Kind-Sein haben doch sie selbst. In dieser Welt der Bühne und des Theaters muss nicht gesprochen werden, kein einziges Wort, dafür aber ganz viel miteinander kommuniziert – dies anhand von Geräuschen, Blicken, einer behutsamen Berührung, die geteilt und wieder entzogen wird. Gemeinsam gilt es Grenzen auszutesten, jeder für sich allein und dann wieder zusammen. Einer für alle, alle für einen. Moving Borders. Kein Name passt besser für dieses Künstlerkollektiv, das Grenzen verschiebt und abbaut.

Zwei bewegliche Wände – Paravents – bilden die mobil-variable Rahmung des Bühnenstücks und werden multifunktional eingesetzt: als flimmernder überdimensionaler Bildschirm, Theaterkulisse, Ort des Rückzugs und der Verwandlung – zu mannshohen Wänden können sie werden, zur unbezwingbaren Burg, zum heimlichen Versteck, kurzum, zu all dem, was die Phantasie vor allem des Publikums hergibt. Nichts ist festgelegt, nichts ist bestimmt – unzählige Assoziationen und Bilder sind es, welche das Trio freimütig anbietet, aber es bleibt einem selbst überlassen, für welche man sich entscheidet. Freiheit und gedankliche Vielfalt, auch dies als eminenter Bestandteil dieser besten aller möglichen Welten.

Behutsam streckt sich eine Tänzerhand aus dem mit zahlreichen Gummibändern überspannten Rahmen entgegen; dieser wird zur Projektionsfläche unzähliger Geschichten, solchen, die erzählt werden oder erzählt werden könnten: Ein Augenpaar findet den Weg zum Zuschauer, niemals platt oder aufdringlich, aber mit großer Offenheit und Neugierde – ein weiterer Arm gesellt sich dazu, zwei Hände, ein Gesicht. Möglichkeiten werden multipliziert. Der Flimmerkasten verwandelt sich in Sekundenschnelle in einen Aufzug, in den zwei Menschen in entgegengesetzter Richtung in die Leere – oder Weite? – fahren. Drei Hocker übereinander gestapelt ergeben urplötzlich ein Bootsdeck, auf dem der pustende Tänzer – den Wind nachahmend – das Bild eines Kapitäns auf rauer See entstehen lässt. Im Handumdrehen wird aus den umfunktionierten Sitzgelegenheiten wiederum ein Motorrad oder Wasserboot, welche tollkühn und ohne Verletzungsgefahr gelenkt werden – ein Kindheitstraum…

Nur wer wagt, der auch gewinnt.

Mit kindlicher Freude entdecken die Tänzer*innen, dass jeder einmal vorne oder hinten, mal der Erste oder Letzte sein kann – jemand, der führt oder geführt wird. Nur wer wagt, der auch gewinnt, scheint ein weiteres Motto dieser Reihe an kindlichen Spielen zu sein, neben dem Kernthema: Alles ist möglich, nichts ist verboten. Gleich Marionetten ziehen sich die Spielgefährt*innen an unsichtbaren Fäden empor oder lassen sich fallen – wer hat hier die Fäden sprichwörtlich in der Hand? Virtuos wechseln die Drei von einer Rolle in die nächste, von einem Spiel ins andere, von einer Ebene auf die übernächste.

Ein weiteres Requisit wird entdeckt: Die allseits beliebte Verkleidungskiste, die allerhand Mögliches und Unmögliches enthält – woraus allerhand Mögliches und Unmögliches entsteht: Die Kostüme werden begutachtet, verteilt, neu gemischt, ausprobiert, wieder gewechselt – ein turbulentes, liebesvolles Durcheinander entspinnt sich mit immer neuen Situationen und Konstellationen: Ein mit Reifrock bekleideter Tänzer (Máte Asbóth) verwendet diesen als schützendes Schneckenhaus, mutiert zum Sonnengetier, gedeiht zur Blume – was immer man gerade sehen will, der eigenen Imagination sind keine Grenzen gesetzt. Welch‘ Geschichte man auch hören will, sie wird erzählt.

Ebenso schnell wie sich die Tänzer*innen angezogen haben, haben sie sich der Kleider entledigt und gestalten einen Kleiderpfad, auf dem man wunderbar balancieren und neue Wege gestalten kann – gleich eines kindlichen Schachspiels. Allein oder zusammen. Wer entscheidet, wohin der Pfad führt? Neue Wege werden gemeinsam oder alleine gegangen. Wege entstehen dadurch, dass man sie geht. Wie fühlt es sich an, wenn ein Spiel endet? Wenn das neue Spiel beginnt, wann es beginnt? Wer legt die Spielregeln fest? Und von welchem Spiel? Beinahe philosophische Fragen sind es, die hier leichterhand gestellt werden, Antworten sind überflüssig. Denn wer kennt schon die Antwort auf all diese Fragen? Gibt es eine Antwort? Eine oder viele?

Das Stück endet mit einem ‚Family-Picture‘, bei dem die Tänzer*innen und ein kleiner Fuchs – Kopf-Verkleidung der zierlichen Tänzerin mit großer Präsenz – durch den Paravent wie durch Jalousien eines Fensters schauen – sie blicken ihr Publikum direkt an, als wollten sie sagten: Zum Spiel gehörst auch ‚du‘. Nur mit ‚dir‘ sind wir komplett! Welch‘ ideales Schluss- und Sinnbild für dieses Stück, in dem die Darsteller*innen ihrem kindlichen Publikum in jedem Moment auf Augenhöhe und mit größtem Respekt begegnen – denn gerade dies macht sie doch aus, diese beste aller Welten, eine zu sein, die von Toleranz, Respekt und Miteinander geprägt ist. Bei dieser Spielregel sind sich alle einig.

 

 

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