Unerwartetes Requiem
„Nahaufnahme Boris Charmatz“, herausgegeben von Marietta Piekenbrock
„20 Dancers for the XX century and even more“ nach dem Konzept von Boris Charmatz in Wuppertal
Was Buster Keaton und Kate Bush gemeinsam haben? Beide haben in der Wuppertaler Oper getanzt. Also, nicht direkt. Vielmehr war es die Ukrainerin Olga Dukhovna, die jetzt im kleinen Foyer zwei Solos gezeigt hat, Keatons „Grand Slam Dance“ aus dem Film „Grand Slam Opera“ und Bushs ikonografischen Ausdruckstanz aus dem Video-Clip zu „Wuthering Heights“. Dabei hat Dukhovna noch darauf verwiesen, dass es alljährlich für Bushs Tanz in Berlin einen riesigen Flashmob gibt. Bekannt ist das Phänomen in mehreren großen Städten unter dem Begriff „The Most Wuthering Heights Day Ever“, bei dem immer hunderte Tänzer*innen zusammenkommen.
Man könnte es eine Lecture-Performance nennen, eine von unzähligen, die wörtlich überall im Wuppertaler Opernhaus zu erleben waren. Boris Charmatz hat dieses Konzept eines lebenden Museums, wie er es selbst auch nennt, erstmalig 2012 in Frankreich mit Erfolg getestet. Und auch in Wuppertal geht die Idee auf. Besonders im Tanz sollte man meinen, wäre es eine gute Idee, sich selbstständig und ganz nach Lust und Laune verschiedenen Arbeiten aus dem eigenen Blickwinkel zu nähern. Dazu gab es Gelegenheit ganz klassisch im Saal, aber neben dem kleinen Foyer auch auf der Hinterbühne, den Probebühnen, im Magazin und und und ...
Sich einfach treiben lassen
Ein Lageplan im Programmheft mag vielleicht all jenen zur Orientierung reichen, die sich im Haus auskennen. Für alle anderen gilt: sich einfach treiben lassen. Da hört man schon mal Sätze wie „Ach, jetzt sind wir auf der Bühne!“ oder „Wie sind wir eigentlich in diesen Strom geraten?“. Das Publikum hat sicht- und hörbar Spaß, denn hier gibt es wirklich Raum, sich den Tänzer*innen und damit den Solos zu nähern, Fragen zu stellen, ins Gespräch zu kommen oder einfach nur zu erfahren, welche Geschichten hinter den Bewegungen liegen. Und das sind viele Geschichten, denn der Zusatz „even more“ im Titel ist wörtlich gemeint. Ganze 25 Tänzer*innen sind es, die sich hier abwechseln und damit an jeden Ort immer wieder einen neuen Stil, eine andere Atmosphäre und andere Rhythmen bringt.
Nayoung Kim, die lange unter Pina Bausch getanzt hat, erzählt von Albernheiten wie „King Kong spielt Pingpong in Hongkong“. Im Saal fällt es schwer, sich auf Christopher Tandy mit einem Solo aus Bauschs „Das Stück mit dem Schiff“ zu konzentrieren, denn durch die offene Tür klingen aus dem Foyer lebhafte Trommelrhythmen, mit denen der portugiesische Tänzer Filipe Lourenço lockt. Es gibt wirklich jede Menge zu erleben. Mitgrooven, Bewegungen imitieren, ihnen körperlich antworten. Zu einem jazzigen Saxophon schwingen die Besucher*innen die Hüften. Direkter lässt sich Tanz kaum erleben. Und schon kann man ganz direkt spüren, dass diese Arbeiten, die ja aus der Vergangenheit stammen, dann lebendig sind, wenn sie direkt gelebt werden.
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