„Como a Cabeça na lua” von Anita Ferreira, Tanz: Paula Iniesta, Francesco Cortese

„Como a Cabeça na lua” von Anita Ferreira, Tanz: Paula Iniesta, Francesco Cortese

Kreative Vielfalt

Die „Jungen Choreografen“ des Hamburg Ballett stellen sich vor

Seit 50 Jahren ist es eine gute Tradition in Hamburg, dass die Tänzer*innen der Kompanie sich selbst mit eigenen Kreationen präsentieren. Die neueste Auflage ist eine wilde Mischung.

Hamburg, 25/04/2024

Schon zu Beginn seiner Zeit als Ballettdirektor in Hamburg hatte John Neumeier auch dem Nachwuchs Raum gegeben, um eigene Choreografien zu zeigen – eine Tradition, die er bereits vom Stuttgarter Ballett und der Noverre-Gesellschaft kannte. Schließlich war diese auch für ihn selbst das Sprungbrett für seine große Karriere als Choreograf. Und so haben die Aufführungen der „Jungen Choreografen“ in Hamburg eine inzwischen 50-jährige Tradition an wechselnden Spielstätten. Gab es in der Vergangenheit oft Probleme, einen geeigneten Ort zu finden, gestaltete sich das dieses Jahr erheblich leichter: 

Neue Räume

In Hamburg-Bergedorf war gerade das neue Körberhaus eröffnet worden, das mit dem Lichtwarksaal eine perfekte Bühne bietet – mit guter Sicht von allen Plätzen und einem ausreichend großen Saal, der die Nachfrage voll befriedigen konnte. Mit insgesamt 40 Tänzer*innen für 15 Kreationen, verteilt auf zwei Tage, hatte das Ensemble dieses Jahr die bisher umfangreichste Veranstaltung dieser Art auf die Füße gestellt. Und das alles außerhalb der normalen Arbeitszeit, die für das Hamburg Ballett mit ca. 90 Vorstellungen pro Saison ohnehin sehr herausfordernd ist. Alle Beteiligten zeichneten nicht nur für die Kreation selbst, sondern auch für Kostüme, Licht und Musik verantwortlich. 

„Kreativität war und ist für uns hier in Hamburg immer extrem wichtig gewesen – nicht nur als Musen für Choreografen, sondern auch als Schöpfer“, sagte Francesco Cortese, Gruppentänzer im Hamburg Ballett und Koordinator der zweitägigen Präsentation der „Jungen Choreografen“ in seiner Einführung. „Es ist unsere Plattform, wo wir ohne Vorurteile kreativ sein, eine eigene Bewegungssprache entwickeln und uns selbst finden können.“ Und da gab es tatsächlich einiges zu entdecken. 

Vielfältiges Programm

„Cannonade of Joy“ zum Kanon in D-Dur von Johann Pachelbel von Priscilla Tselikova bildete ein ebenso stilvolles wie choreografisch durchgearbeitetes Entrée zum ersten Abend – das war nicht nur sehr schön anzusehen, sondern wurde von den drei Paaren auch exzellent getanzt. 

Das anschließend gezeigte Stück „Daydream“ von Lizhong Wang für ebenfalls sechs Tänzer*innen verströmte dagegen Probenatmosphäre bei komplett offener Bühne. Im Hintergrund gab es einige Unruhe, immer wieder öffnete jemand eine Türe oder ging am hinteren Rand entlang, während sich im Vordergrund die sechs Tänzer*innen bewegten und eine gewisse Unentschlossenheit verströmten. Ein Tagtraum war das nicht wirklich, eher eine nicht wirklich fertige Bewegungsstudie. 

Danach nahm sich Francesco Cortese mit „Schuldspiel“ die schwierigen zwischenmenschlichen Beziehungen zum Thema, fein ausziseliert von vier Tänzerinnen und zwei Tänzern.

Anschließend wurde es jedoch gruselig: „Simile, Sporadic Fantasia and Fugue for 10 Hands“ von Louis Haslach war eine rüde zusammengehauene Performance, bei der man lange nach den tänzerischen Passagen suchen musste. Zu Beginn wurde ein wenig nachvollziehbares Video gezeigt – mit Szenen von Schiffen im Hafen und Maschinenräumen, in denen sich Menschen verloren. Die Klangcollage aus knarzenden Türen, Stöhnen, Schreien und gesprochenen, unverständlichen Texten trug ebenfalls nicht gerade zum Verständnis bei – kurzum: es war das überflüssigste und inhaltlich ärgerlichste Stück des Abends. 

Danach war der Pas de Deux „Viaje Desconocido“ von Alice Mazzasette für Paula Iniesta und Alessandro Frola in seinem schlichten Purismus eine wahre Wohltat – und vor allem großartig getanzt. Mit „Eden“ schuf Ida Stempelmann eine feine Etude für fünf Frauen, bevor Olivia Betteridge, Florian Pohl und Nicolas Gläsmann mit „Hana“ von Illia Zakrevskyi ein Kleinod an Körperbeherrschung und Hingabe zelebrierten. 

Der absolute Höhepunkt war jedoch „Kill it!“ für 14 Tänzer*innen von Gabriel Barbosa, einem 22-jährigen Spross der Ballettschule des Hamburg Ballett, der seit 2022 als Gruppentänzer in der Kompanie engagiert ist. Der gebürtige Brasilianer schafft es, ein tänzerisch ebenso anspruchsvolles wie abwechslungsreiches Stück auf die Bühne zu zaubern und die 14 Beteiligten, die sich mit Elan in die raffinierten Schrittfolgen stürzten, immer wieder neu zu arrangieren, noch dazu mit einer großen Portion Humor – das war rundum gelungen. Es ist Gabriel Barbosa zu wünschen, dass er sein Talent weiter entfalten darf. 

Fortsetzung folgt

Der zweite Abend war choreografisch gleichförmiger – das gilt für „Yet Unnamed“ von Pablo Polo ebenso wie für „Blue Rondo“ von Pepijn Gelderman, „Instincts“ von Lasse Caballero, „Mediator“ von Joao Santana und „Spirit Bird“ von Florian Pohl. Das war alles fein getanzt, und es war spürbar, dass die Ensemblemitglieder große Freude daran hatten, sich choreografisch auszuprobieren, und doch war da nichts, was einem wirklich im Gedächtnis geblieben wäre. Bei zwei Werken war das anders: „Loquita“ von Aleix Martínez für Ana Torrequebrada und Louis Musin und „Com a Cabeça na Lua“ (deutsch: Mit dem Kopf im Mond) von Anita Ferreira für Paula Iniesta und Francesco Cortese. Beide Stücke stachen heraus als kurze, sehr gekonnt präsentierte Pas de Deux-Delikatessen. 

Der designierte Ballett-Intendant Demis Volpi hat bereits angekündigt, die „Jungen Choreografen“ auch unter seiner Intendanz fortzuführen – ein Ansporn für alle, die sich noch nicht getraut haben! 

 

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