Demis Volpi (rechts) bei den Proben zu „The thing with feathers“, links: Aleix Martínez

Mediationsgespräche reichen nicht

Das Hamburg Ballett hat ein Strukturproblem

Von Demis Volpi werden in Hamburg gleich drei Direktionsjobs erwartet, die er unmöglich unter einen Hut bringen kann - ein Kommentar von Nina Hümpel.

Hamburg, 10/05/2025

Die Öffentlichkeit und Presse überschlagen sich aktuell in Bezug auf die Krise beim Hamburg Ballett, das über 50 Jahre lang das kulturelle Aushängeschild der Stadt war. Die Verwaltungen der Staatsoper und im Senat versuchen, die Wogen zu glätten, indem nach außen beschwichtigt und nach innen moderiert wird.

Bei allem, was Volpi vorgeworfen wird: An ihm allein liegt es nicht. Auch nicht nur an den großen Fußstapfen, in die er nach der Ära Neumeier tritt. Es liegt an den Ansprüchen an die Position, die schier unerfüllbar sind, und an einem fehlenden Change-Management von Neumeier zu Neuem, das vor vielen Jahren hätte einsetzen müssen. Die Besetzung war in jeder Hinsicht falsch gedacht, falsch gemacht und altmodisch im Stile des 20. Jahrhunderts vollzogen. Es gab keine öffentliche Ausschreibung. Die Kulturbehörde hatte stattdessen eine Findungskommisson eingesetzt, der neben dem Kultursenator namhafte Ballettdirektor*innen wie Tamas Detrich, Intendant des Stuttgarter Balletts, Ted Brandsen, Direktor des Het Nationale Ballett der Niederlande in Amsterdam, und Brigitte Lefèvre, ehemalige Primaballerina und von 1995 bis 2014 Direktorin des Balletts der Pariser Oper, beiwohnten. Diese Kommission traf 2022 die für die Öffentlichkeit damals in jeder Hinsicht überraschende Entscheidung für den relativ jungen, international noch nicht renommierten Balletterzähler Demis Volpi aus der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf.

Coach, Mediation, eine kurzfristige Rückkehr Neumeiers zur Beruhigung der Lage, mag kurzfristig sinnvoll sein, wird aber nicht funktionieren, wenn man z.B. an die desaströsen Intendanzprobleme beim Tanztheater Wuppertal Pina Bauch denkt. Dort scheiterten sowohl große Pina Bausch-Tänzer*innen und -Vertraute an der Leitung des Tanztheaters, als auch am Ende die große Hoffnung auf den französischen Choreografen Boris Charmatz, der neue künstlerische Ansätze für die Kompanie und Stadt präsentierte und nach kurzer Zeit das Handtuch warf, ohne diesen Schritt öffentlich zu begründen. Es ist komplizierter, aber alte Strukturen, Zeit, Ressourcen und Raum für die epigonalen Stücke von Pina Bausch ließen sich wohl nicht mit den neuen Ansätzen verbinden.

Von Volpi werden in Hamburg gleich drei Direktionsjobs erwartet, die er unmöglich unter einen Hut bringen kann. Das wären zum einen der des Hauschoreografen, der neue Impulse setzen und sich zugleich mit dem Weltchoreografen John Neumeier messen kann. Auch soll er der Bewahrer des Tanzerbes des umfänglichen Neumeier-Werkes sein, welches bekanntermaßen viel Kenntnis und Zeit braucht und Anlass heftiger Kritik ist. Und last but not least, der kuratierende Direktor, der das Ballett in die Zukunft führt, neue innovative Choreograf*innen sucht, entdeckt und nach Hamburg bringt. Dieser dritte Job beinhaltet auch die Öffnung in die freie Szene, in die aktuell virulenten künstlerischen und gesellschaftlichen Themen und die intensive Mitarbeit an der nächstes Jahr stattfindenden Tanztriennale in der Hansestadt, die eine Fortführung des ehemaligen Tanzkongresses und „als neuer geförderter Kultureller Leuchtturm entstanden ist. Die Tanztriennale soll aktuelle Tendenzen des zeitgenössischen Tanzes sichtbar machen, neues Publikum gewinnen und den Fachaustausch innerhalb der Sparte ermöglichen. Zudem liegt ein besonderes Augenmerk darauf, die verschiedenen Szenen im Tanz zusammenzuführen, die sich – von Urban Dances über zeitgenössische Ästhetiken bis zum klassischen Ballett – zuletzt weiter ausdifferenziert haben.“ Auch die kuratierende Direktion ist also ein Job für sich allein. 

Die Ballettintendanz muss darüber hinaus ein riesiges Unternehmen führen und gleichzeitig umbauen. Das bringt man als Choreograf nicht unbedingt von selbst mit, wenn man sein Leben lang im Ballettsaal stand und funktioniert kaum, wenn gleichzeitig die große Kompanie rund um die Uhr betreut werden will. 

Wenn die Oper und die Kulturbehörde das verstanden haben, hilft es, sich in der deutschen Tanzlandschaft mal umzuschauen, denn dort gibt es demnächst Teams in der Ballettintendanz, die diese Aufgaben gleichberechtigt teilen.

Für die Spielzeit 2025/26 wird das Ballett Dortmund zum Beispiel eine Dreier-Spitze erhalten: Jaš Otrin, Annabelle Lopez Ochoa und Edward Clug lösen dann den Ballettintendanten Xin Peng Wang ab. Dr. Jaš Otrin wird Intendant des Ballett Dortmund und NRW Juniorballett und im Team mit Annabelle Lopez Ochoa und Edward Clug als Artists in Residence das künstlerische Profil des Ballett Dortmund prägen. Beide werden abwechselnd Choreografien für das Ballett Dortmund und NRW Juniorballett entwickeln. Dazu steuern Gastchoreograf*innen eine weitere Premiere pro Spielzeit bei. Im Kompetenzzentrum Tanz sollen junge Tänzer*innen gefördert werden. Ochoa und Clug wollen hier junge choreografische Talente mit Workshops, Meisterkursen und Mentorenschaften fördern.

Aber auch wenn Marco Goecke im Sommer nach Basel geht, bringt er seine langjährige Mitarbeiterin mit, die erfahrene Kulturmanagerin und Tanzdramaturgin Nadja Kadel, sowie seinen Probenleiter Ludovico Pace. Alle drei stehen gleichberechtigt auf der Website unter Ballettdirektion, und das ist gerade in seinem Fall besonders wichtig.

Mir tut Demis Volpi leid, dass er hier verfeuert wird, weil vorab nicht ausreichend konzipiert und beraten und in eine zeitgemäße Zukunft gedacht wurde. Aber hier wird nicht nur ein Choreograf oder ein Ballettensemble beschädigt. Der Fall beschädigt auch die weltweit berühmte Tanzszene Deutschlands insgesamt. Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda wird aktuell als vorbildlichster und erfolgreichster Kulturpolitiker in Deutschland gehandelt und stand trotz falschem Parteibuchs eine Zeit lang in der Diskussion für das kürzlich neu besetzte Amt des Kulturstaatsministers. Ich setze große Hoffnung auf diesen Mann der Stunde, dass er schnell ein kompetentes Beratungsgremium zusammenstellt und das Change-Management nicht einer fachfremden Mediation überlässt. Beim Blick auf die Website des Hamburg Ballett lassen sich übrigens durchaus Namen entdecken, die aus dem Team in die Direktion steigen könnten und die Schnittstelle zu den Neumeier-Balletten und die kuratorisch-konzeptionelle Arbeit vollumfänglich übernehmen könnten. Fehlt nur noch ein fähiges Chance- und Ballettmanagement wie es z.B. Tobias Ehinger in Dortmund entwickelt hat.

Kommentare


Es ist noch immer bitter für alle Beteiligten, wenn die Besetzung einer Führungsposition im Theater nicht funktioniert. Schließlich wirkt sich dies negativ bis ins Publikum und die dem Theater fernerliegenden Bereiche der Stadtgesellschaft aus. Nach über 30 Jahren in Theaterbetrieben muss ich feststellen, dass Besetzungsverfahren im Leitungsbereich häufig ein unterschätztes Risiko bereithalten, ob sich die ausgewählte Person in der Praxis bewährt. Denn nicht selten werden die Entscheidungen von Auswahlkommissionen in der Art eines Empfehlungsmanagements über Einladung fachlich namhafter Persönlichkeiten vorgenommen. Es scheint auch im Tanzbereich vorzukommen, dass man sich im Zuge der folgenden Vertragsverhandlungen unter den Verhandelnden kaum interessiert, wie sich der Kandidat/die Kandidatin in einer vorangegangenen Position im Umgang  mit seinen Mitarbeitenden bzw. den anvertrauten Tänzer/innen benommen hat. Ich habe es bei der Besetzung von (General-)Intendanzen wiederholt erlebt, dass man die irgendwann dann doch relevant werdenden Nichtverlängerungsgründe schon im Vorfeld der Verpflichtung hätte wissen können. Später werden dann die „Kollateralschäden“ größer und nicht kleiner, was man in Hamburg zumindest erkannt hat. Hut ab für die Initiative des Ensembles! Gehen die Probleme der künstlerischen Leitung gar in Richtung Narzissmus, ist nicht damit zu rechnen, dass er/sie freiwillig kündigt. Kommt der Theatertragende irgendwann nicht umhin, von seinem Kündigungsrecht (fristlos oder vertragsgemäß) Gebrauch zu machen, wird das bekannte Versuch-und-Irrtum-Spielchen der Personalauswahl von Neuem beginnen. Modelllernen am Beispiel Dortmund zur Nachfolgeregelung wäre ein Novum gewesen. Die Dominanz lokaler und persönlicher Bedingtheiten lassen dies (leider) als nicht realistisch erscheinen. Nichtsdestotrotz wünsche ich allen Beteiligten viel Kraft und Durchhaltevermögen, diese unschöne Situation durchzustehen! 

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