„Desdemona und ihre Schwestern“ von Angelika Neumann und Krisztina Horváth, Szene 3: „Eva Braun“. Tanz: Angelika Neumann

„Desdemona und ihre Schwestern“ von Angelika Neumann und Krisztina Horváth, Szene 3: „Eva Braun“. Tanz: Angelika Neumann

„Wir sind quitt, Messieurs!“

Es gibt noch Theaterstücke, die den Schlaf rauben können…

Was Angelika Neumann in ihrer Theater-Tanz-Performance „Desdemona und ihre Schwestern“ im Kulturforum Schwimmhalle Schloss Plön in Schleswig-Holstein präsentiert, geht zum Teil so unter die Haut, dass man sich ihrem Spiel nicht entziehen kann. Sie hat zusammen mit der Choreografin Krisztina Horváth die fiktiven Frauenreden bekannter Frauen aus Literatur und Geschichte aus dem Buch „Wenn du geredet hättest, Desdemona“ von Christine Brückner inszeniert.

Plön, 20/09/2023

Die von Angelika Neumann gekürzten und bearbeiteten Texte thematisieren die Sicht der Frauen auf die Ereignisse der Geschichte. Dabei wirkt Brückner wie eine Anwältin für die nicht gehörten Stimmen der Frauen und stellt ihre jeweiligen Perspektiven feinsinnig, treffsicher und manchmal sehr herausfordernd dar. Die Inszenierung spiegelt das Innenleben der Frauen mit den Mitteln des Theaters und des Tanztheaters wider: Texte, Musik, Projektionen und Videos verschmelzen zu einem beeindruckenden Ganzen. Die Frauen sprechen in einem fiktiven Moment – in dem der Gang der Dinge für eine kleine Weile aufgehalten wird – zu ihren Männern, zu Ihren Mördern.

Wir erleben die Angst von Desdemona vor Othello, sie hält ihm die perfide Intrige Jagos vor Augen: das gut platzierte Taschentuch, aufgrund dessen Othellos Eifersucht entfacht wird. Und bevor sie sich dem unvermeidlichen Schicksal, erwürgt zu werden, hingibt, preist sie nochmals seinen schönen Körper, ihre Liebe zu ihm. Wunderbar hier die Verbindung mit einem Klavierstück von Arvo Pärt, das leise unter dem Monolog wie ein Melodram zu hören ist und die fein ausziselierte Beleuchtung von Georg Steffens.

Wir trauern mit Effie Briest um ihr verlorenes Leben an der Seite eines viel zu alten, nicht geliebten Mannes, der ihre Sehnsüchte, dem wahren Leben zu begegnen, immer nur mit: „Aber Effie!“ kommentiert. „Ich habe Angst vor Deinen Zärtlichkeiten!“ – verrät sie uns. Die Liaison mit dem Major Crampas wird ihr zum Verhängnis: sie endet als aus der Gesellschaft Ausgestoßene.

Die Frauenfiguren wehren sich, sträuben sich gegen die gesellschaftlichen Normen ihrer Zeit, sind ungehalten, verzweifelt, manchmal fast irre…

Wie zum Beispiel Eva Braun, deren Szene im Führerbunker kurz vor ihrem gemeinsamen Suizid mit Hitler spielt. Sie torkelt betrunken herein und fantasiert über ihre große Liebe zu „Meinführer“ – gerade hat sie den größten Triumph ihres Lebens erlebt: die Vermählung mit Adolf Hitler, dessen Geliebte sie über 16 Jahre lang war. Sie tanzt verliebt mit einer Uniformjacke, denn er ist natürlich mal wieder nicht da – und geht mit Begeisterung dem Ende ihres Lebens entgegen!

Aber es gibt nicht nur Opfer bei den Frauenfiguren, sondern auch Täterinnen, und Angelika Neumann spielt sie alle mit großer Hingabe! Da gibt es die Kameliendame, eine bezahlbare Dame der gehobenen Gesellschaft im Paris der Mitte des 19. Jahrhunderts. Sie ist selbstbewusst und stolz auf ihr selbstbestimmtes Leben im Luxus – eine emanzipierte Frau der damaligen Zeit!? Die Männer gaben ihr Geld und manch einen hat es ruiniert, aber sie gab dafür ihre Gesundheit hin – ein hoher Preis. „Wir sind quitt, Messieurs!“, ruft sie – und doch wird ihr die einzige wirkliche Liebe ihres Lebens zum Verhängnis… Mehrere Arien aus Verdis Oper „La Traviata“ untermalen die Szene und wenn der Tanz dann in den Vordergrund tritt – Angelika Neumann improvisiert mit Walzerschritten und Fächer – wirkt es doch ein wenig zu klischee- und operettenhaft.

Deutlich überzeugender ist der Auftritt der Hetäre Megara, die in Aristophanes Komödie „Lysistrata“ der Titelfigur die Absurdität ihres Planes vor Augen führt, ein Verweigern des ehelichen Lagers der Athener Frauen könnte zum Ende des inzwischen 10-jährigen Krieges zwischen Athen und Sparta führen. Nein! Die Athener Frauen sollen ihre Männer regelrecht schlapp machen vom Liebesakt, sie solange verführen, bis sie vor Müdigkeit nicht mehr kämpfen können. Und sie führt den Athenerinnen und gleichzeitig auch den Frauen im Publikum gleich mehrfach die Lust am Orgasmus vor! Vielleicht gerät diese Figur in der Darstellung dann doch etwas zu ordinär – waren die Hetären im Altertum doch geachtete und durchaus in Kunst und Kultur gebildete Frauen.

Den Weg vom Opfer zur Täterin beschreitet in Brückners / Neumanns Sicht Klytämnestra, die Gemahlin von König Agamemnon: Agamemnon hat ihren Mann, ihre Tochter erschlagen, sie gewaltsam zur Frau genommen, an einen ungeliebten Ort versetzt („Ich hasse das Meer!“) und 10 Jahre lang alleine gelassen im Krieg. Nun rächt sie sich im Moment seiner Rückkehr und erwürgt ihren Gatten im Bade. Die Einsamkeit hat sie zermürbt. Sie prangert die Gewalt der Männer, des Krieges an: „Was ist ehrend daran, wenn ein Mann den anderen tötet? – Haben wir nicht genug Tote? Hört endlich damit auf!“ Das sind Worte, die auch heute noch nichts von ihrer aufrüttelnden Kraft verloren haben.

Zwischen den verschiedenen Szenen werden in Videos (Auswahl Berend Neumann) die Themen mit aktuellen Darstellungen verbunden, wie zum Beispiel die Legitimation des Kopftuchgebots im Islam, die Ruhigstellung der Frauen in den Nachkriegsjahren durch das alkoholische Getränk „Frauengold“ oder der fast nackte Frauenkörper als ausgestelltes Objekt in der Modenschau „Black Tape“.

Am Schluss der fast 90-minütigen Performance tritt dann noch Gudrun Ensslin auf, die in ihrer Gefängniszelle ihre Sicht der Ungerechtigkeit der Welt und ihre Überzeugung, dass die RAF-Gruppe nur Politik mit anderen Mitteln gemacht habe, den Wänden entgegen schreit. Helden oder Verbrecher? Diese Frage bleibt im Raum stehen.

In vielen Passagen verleiht die stimmungsvolle Musikauswahl und Bildersprache von Krisztina Horváth dem Stück einen lyrischen Touch, insgesamt aber wirkt die Inszenierung wie ein Angriff auf das Selbstverständnis der Männer und deren Geschichtsbewusstsein. Auf die heutigen Frauen vielleicht eher wie die Frage nach der eigenen Identität, nach der Wahrhaftigkeit in der Lebensführung. Wenn Klytämnestra ruft: „Ich weine um mich! Um mein verlorenes Leben“, dann geht das unter die Haut. Und manche Zuschauerin mag sich wohl fragen: Lebe ich das richtige Leben? Bin ich selbst- oder fremdbestimmt? Denn eines wird aus diesem Stück klar: es gibt kein richtiges Leben im Falschen.

 

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