„Minus 16“ von Ohad Naharin

„Minus 16“ von Ohad Naharin

Von der Macht der Gemeinschaft

Eröffnung der Pfalzbau-Festspiele mit Tanz von Anne Teresa de Keersmaeker und Ohad Naharin

Die Zutaten dieses Abends sind zu divers, um sich durchgängig zu einem überzeugenden Ganzen zu mischen. Aber die Steigerung bis hin zum frenetischen Ensembletanz zieht die rund 1000 Zuschauer*innen gekonnt in den Bann.

Ludwigshafen, 14/10/2023

Ohad Naharin ist einer der prominentesten Choreografen der Welt – und er ist ein Israeli, der mit seinen politischen Einstellungen nicht hinterm Berg hält. Er hat sich offen regimekritisch geäußert (allerdings vor dem Hamas-Angriff) und sieht kein Problem damit, die Lizenz für eines seiner weltweit aufgeführten Signaturstücke in Russland zu verlängern. Die Premiere für „Minus 16“ im Moskauer Stanislawski-Theater ist für November angesetzt. Besucher*innen des Ludwigshafener Pfalzbaus konnten das Stück anlässlich der Eröffnung der diesjährigen Pfalzbau-Festspiele ganz aktuell sehen.

Ermöglicht hat das der Stuttgarter Eric Gauthier, dessen Kompanie den Publikumsrenner im Repertoire hat – und der das Tanz-Programm im Rahmen der Festspiele kuratiert hat. So ließ er sein Ausnahme-Ensemble (von einer führenden Tanzzeitschriften zum Ensemble des Jahres gewählt) einmal mehr einen der berühmtesten Stuhlkreise der Tanzgeschichte bilden. Wenn es die Tänzer*innen zu den immer mehr anschwellenden Klängen eines jüdischen Schabbat-Liedes nicht mehr auf den Stühlen und zuletzt auch nicht mehr in ihren schwarzen Anzügen hält, kommt (vielleicht auch angesichts der aktuellen politischen Lage) eine atemlose Spannung auf. Zu guter Letzt holen sich die Tänzer*innen neue Partner aus dem Publikum – das Tanzfest für alle kann beginnen.

Zum Auftakt des zweiteiligen Abends wurde es die neue Arbeit von Choreografie-Legende Anne Teresa de Keersmaeker von ihrer Truppe „Rosas“. gezeigt Das Stück „Exit above“ – after the tempest“ ist ziemlich genau so intellektuell konstruiert wie der Titel, der auf eine Regieanweisung in Shakespeares „Der Sturm“ anspielt. Anfangs wird der Text von Walter Benjamin über den „Engel der Geschichte“ eingesprochen, und eine mobile Windmaschine bläht kunstvoll ein durchschimmerndes weißes Tuch. Was das Bewegungsmaterial angeht, so erforscht die Choreografin den Übergang vom Gehen zum Marschieren, Laufen, Rennen und am Ende Tanzen – was immer jeder Einzelne davon am besten kann.  

Zusammengehalten wird das Stück allerdings auf musikalischer Ebene: Die Singer-Songwriterin Meskerem Mees (Gent), die mit scheinbar schlichten, poetischen Liedern einen sehr eigenen Ton im Folk-Blues-Stil angibt, bewegt sich mit den „Rosas“ wie eine von ihnen. Tatsächlich versammelt diese Truppe Tänzer*innen mit sehr unterschiedlichen Fertigkeiten, die von Keersmaeker in vielen solistischen Parts detailliert in Szene gesetzt werden. Auch Carlos Gabin, der mit seinen elektronischen Gitarren-Racks den alternierenden musikalischen Ton angibt, war ehemals Mitglied der Kompanie.

Auch wenn am Ende Meskerem noch einmal Shakespeare zitiert – die Zutaten dieses Abends sind zu divers, um sich durchgängig zu einem überzeugenden Ganzen zu mischen. Aber die Steigerung bis hin zum frenetischen Ensembletanz zieht die rund 1000 Zuschauer*innen gekonnt in den Bann.    

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