„Rachmaninow“ von Uwe Scholz und Mario Schröder

Von der Spitze auf den Boden und wieder zurück

Zur Wiederaufnahme „Rachmaninow“ von Uwe Scholz und Mario Schröder an der Oper Leipzig

Im Kommen und Gehen, sich Suchen und Finden liegt die Vergänglichkeit des Gegenwärtigen.

Leipzig, 02/01/2023

Vielleicht ist die 13 ja doch eine Glückszahl? Seit 13 Jahren nämlich ist Mario Schröder Ballettdirektor und Chefchoreograf des Leipziger Balletts. Zum Ausklang des letzten Jahres und zum Beginn des neuen setzt Schröder mit der Wiederaufnahme des zweiteiligen Ballettabends „Rachmaninow“ ein grandioses Zeichen. Das Publikum dankt mit jubelnden Ovationen.
Mario Schröder begann seine Karriere als Tänzer beim Ballett in Leipzig, war ab 1991 erster Solist unter der Leitung von Uwe Scholz, der hier 1997 die opulente Neufassung seiner Choreografie zum dritten Klavierkonzert von Sergej Rachmaninow kreierte. Die Uraufführung der Erstfassung feierte zehn Jahre zuvor in Zürich Premiere.
Uwe Scholz verstarb am 21. November 2004. Zu seinem zehnten Todestag brachte Mario Schröder diesen zweiteiligen Abend „Rachmaninow“ zur Uraufführung. Er führt nun bei höchst sensibler Korrespondenz mit seiner Choreografie zu Rachmaninows zweitem Klavierkonzert jene Kunst der aus Klang, Raum und Bewegung choreografierten Assoziationen des menschlichen Kommens und Gehens, des sich Findens und des sich Verlierens fort. Er stellt seine individuelle Sprache des Tanzes in den so spannenden wie kreativen, vor allem aber bewegenden Dialog mit den Kreationen von Uwe Scholz.

Keine Zitate. Das Vergangene, so Schröder zu dieser Arbeit, könne man nicht zurückholen. Aber die Frage stellt er schon, was es denn bedeute, „wenn im Vergangenen die unvergängliche Realität des Gegenwärtigen, eines jeden vorübergehenden Moments beschlossen liegt?“

Beiden Werken, live gespielt vom Leipziger Gewandhausorchester unter der Leitung von Matthias Foremny, mit den Solisten Paulo Almeida im zweiten, und Luzia Borac im dritten Konzert, ist so etwas wie der Ausdruck des Dahineilenden eigen. Es sind zwar immer wieder üppige Klänge der Romantik, auch nicht ohne Wehmut, aber dann doch, in den zwar virtuosen, dennoch aber nicht in bravouröser Technik sich verlierenden Soloparts, Passagen möglicher Ausflüchte in unbekannte Klangwelten.

In beiden Kreationen, die auch ganz unterschiedlich der Musik folgen, gibt es keine Handlungen im Sinne einer Geschichte. Dennoch aber ist es die hohe Sinnlichkeit individueller Assoziationen, die eigene Bildwelten persönlicher Wahrnehmung zu erschaffen vermag.  

Uwe Scholz erweist sich in seiner Choreografie als Meister des musikalischen Einklanges, nicht zuletzt im Dialog der musikalischen und der tänzerischen Virtuosität. Und so wie der Klang seine Kraft aus dem Phänomen unwiederholbarer Vergänglichkeit bezieht, so vor allem auch der Tanz, hier bei Scholz verpflichtend in exzellenter Technik klassischer, vor allem neoklassischer Traditionen des Balletts. Da sind die Energien der großen mit Schülerrinnen der Staatlichen Ballettschule Berlin erweiterten Kompanie. Da sind die blitzschnellen Wechsel, hin zu den zwar höchst virtuosen, niemals aber die Individualitäten der Tänzerinnen und Tänzer opfernden Momente. Da sind die schwebenden Tänzerinnen in den für Uwe Scholz so typischen Variationen der Kunst des Pas de deux, auch abgelöst in den Erweiterungen, zu dritt, zu viert, in unterschiedlichen Gruppen. Da schafft eben auch die Kunst des Spitzentanzes die Bezüge zur Höhe in den faszinierenden Momenten scheinbarer Überwindung der Schwerkraft, dennoch immer im Bewusstsein des Bezuges zur Erde.

Und dennoch, indem Uwe Scholz sich am Hintergrund der Bühne und mit einzelnen Motiven auf den Trikots der Tänzerinnen und Tänzer auf Motive von Wassily Kandinsky bezieht, weht bei aller Stenge technischer Anforderungen doch auch so etwas wie der Geist heiterer Ironie durch dieses letztlich nicht zu erklärende Mysterium des Tanzes.

Paul Zoller, in bewährter Zusammenarbeit, hat den Raum der Bühne für Mario Schröders Choreografie zu Rachmaninows zweitem Klavierkonzert geschaffen, dazu die Lichtinstallationen von Michael Röger. Tänzerisch holt Schröder die Kompanie von der Spitze auf den Boden und lässt sie dennoch immer wieder regelrecht abheben. Sie folgen dem Licht der sich bewegenden Installationen. Sie werden vom Licht erfasst und gleich darauf wieder ins Dunkel entlassen. Im genialen Zusammenwirken von Klang, Licht und Bewegung, bedeutet dies aber nicht, dass Menschen, die hier für Momente unsichtbar sind, verloren gehen, dass die Kraft der Bewegung des Tanzes auch nur für Momente versiegen würde.

Auch bei Mario Schröder finden sich Menschen, kommen tänzerisch zusammen, ganz unterschiedlich in den Formationen. Die Vorgaben klassischen und neoklassischen Vokabulars sind rein optisch aufgelöst. Aber wären sie nicht von den wunderbaren Tänzerinnen und Tänzern zutiefst verinnerlicht, sie könnten nicht diese so berührende wie aber auch beglückende Emotion des Aufbegehrens dieser Kunst der Kraft des Augenblicks vermitteln. Ja, am Ende hüllen sie sich wieder ein, tragen Mäntel, wie zum Schutz, wie zu Beginn, sie liegen am Boden, als schließe sich ein Kreislauf. Ja, das wissen wir, dass jedem Anfang ein Zauber inne wohnt. Aber hier, und das macht dann den tänzerischen, räumlichen und musikalischen Zusammenklang beider Kreationen so großartig, jedem Ende eben auch.

 

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