Neues von John Neumeier in Baden-Baden und Hamburg
Der Choreograf unterzeichnet Kuratoren-Vertrag und gewährt Namensrechte bis 2030. Das Festival 2023 startet mit „Dona Nobis Pacem“
Musikerziehung für Kinder und Jugendliche war von Beginn an eines der Kernanliegen der 2017 eröffneten Elbphilharmonie in Hamburg. Neben der Vermittlung der Welt der Instrumente gehören die „Funkelkonzerte“ dazu. Diese eigens für bestimmte Altersgruppen zusammengestellten und stets rasch ausverkauften Konzertprogramme sorgen regelmäßig für funkelnde Augen bei Groß und Klein. So auch am vergangenen Sonnabend, als Antje Pfundtner in der ihr eigenen humorvoll-eleganten Weise sieben Mitglieder des Ensemble Resonanz inszenierte und mit ihnen ganz unterschiedliche Musikstücke auf vielerlei Weise in Bewegung brachte. Am Sonnabend gab es Kleinen Saal der Elbphilharmonie zwei Vorstellungen für Eltern und Kinder ab sechs Jahre, von Montag bis Donnerstag sind dann nur die Schulklassen 1-4 dran.
Hinter dem sich erst auf den zweiten Blick erschließenden Titel „Treznok – rückwärts ins Konzert“ steckte, wie Antje Pfundtner im Vorgespräch erläutert, die Frage: Was ist ein Konzert? Was bringt uns zum Hören, zum Sehen, zum Wahrnehmen? Welche Bilder entstehen? Braucht ein junges Publikum überhaupt eigene Stücke? Was macht man bei Kindern und Jugendlichen anders als bei Erwachsenen? Für die Hamburger Choreografin, die gewohnt ist, den mit den Stücken verbundenen Fragen sehr tief auf den Grund zu gehen, war der Auftrag eine besondere Herausforderung: eine mit drei Wochen vergleichsweise kurze Produktionszeit, kein großes Budget, kein wirklicher Ort für die Entwicklung der Performance, und sieben eigenwillige Musiker*innen, die zwar für vieles offen waren, aber doch auch ein bisschen vorsichtig und scheu, was eine solche tänzerisch angelegte Inszenierung betraf.
Und so vermischen sich in diesem Stück Konzert und Performance zu einem vergnüglichen Gesamtkunstwerk. Über allem schwebt eine Frage, die Antje Pfundtner auch in ihren nur für den Tanz angelegten Werken gerne bewegt: Wie fängt es an? In diesem Fall beginnt es hinter einem Baldachin aus bodenlanden Metallschnüren, der wie ein silbriger Riesenkäfig im Hintergrund von der Decke des Kleinen Saals der Elbphilharmonie herabhängt. Eine Musikerin tritt heraus, stellt sich in die Bühnenmitte und dreht langsam ihr Kontrabass. Eine Geigerin kommt hinzu und hält den Bogen in Höhe der Bass-Saiten. Bei jeder Drehung erklingt nun ein etwas schrabbeliger Ton. Ein zweiter, sehr hoher kommt hinzu – noch ein Violinist erscheint, eine dritte Geige, eine vierte, das Cello, und schließlich die Viola. Und so entwickelt sich langsam das, was Gregor Dierck, Stimmführer der zweiten Violinen, „Otreznoc à 7 archi“ nennt: ein Concerto für 7 Streicher. Es folgt ein von ihm bearbeitetes Concerto für vier Violinen ohne Bass von Georg Philipp Telemann und als Kontrast „In Nuce“ für Viola, Violoncello und Kontrabass von Wolfgang Rihm, bis sich alle Musiker*innen in einer Reihe aufstellen und im Wechsel „so“, „so“, „so“, „so“... in verschiedenen Variationen und Tönen sagen, als Frage, als Feststellung, als Ausruf... so fängt es eben an!
Es folgen Musikstücke von Wolfgang Amadeus Mozart, Philip Glass, verschiedene Transformationsduette des Ensemble Resonanz selbst, von Ludwig van Beethoven, Martin Scherzinger, Henry Purcell, Zequinha Abreu, Alfredo Piatti und – zum Schluss – der Krebskanon von Johann Sebastian Bach mit dem Statement „SO fängt es an!“ ganz am Ende. Dabei verkleiden sich die Musiker*innen mit verschiedenen Kostümen, die man auch schon aus anderen Stücken von Antje Pfundtner kennt: als Blatt („vom Blatt gespielt“), als Baum, als von Kopf bis Fuß in Puschelhüllen und Langhaarperücken vermummte Gestalten. Sie verschwinden auf dem Boden liegend unter einem großen himmelblauen Seidenteppich. Sie stülpen sich einen Pferdekopf und andere Masken über, verkleidet bis zur Unkenntlichkeit. Gregor Dierck, sicher die komödiantischste Begabung unter den Musiker*innen, zwängt sich in ein monströses Kostüm einer schwarz-weiß gepunkteten Motte und veranstaltet ein „Motten-Medley“.
Antje Pfundtner verlangt den Musiker*innen hier einiges ab – sie, die gewohnt sind, Noten vor sich am Pult zu haben, müssen auswendig spielen, um mobil zu sein. Und auch wenn es spielerisch leichtfüßig aussieht, so steckt hinter allem doch eine ausgeklügelte Choreografie, die jede Bewegungsfolge vorgibt. Für Menschen, die das so überhaupt nicht kennen und noch dazu musikalisch sehr genau aufeinander hören müssen, bedeutet das schon eine hochkomplexe Aufgabe. Die sie allerdings mit Bravour meistern – das gilt für alle gleichermaßen: für die vier Violinisten Corinna Guthmann, Skaiste Diksaityte, Benjamin Spiller und Gregor Dierck (der auch für die Musikdramaturgie verantwortlich zeichnet), für Tim-Erik Winzer an der Viola, Saerom Park am Violoncello und Anne Hofmann am Kontrabass.
Und so vergeht diese einstündige Konzertperformance wie im Flug – und macht Lust auf mehr. Die kleinen und großen Zuschauer- und Zuhörer*innen fanden es großartig und feierten alle Beteiligten mit warmem, langanhaltendem Beifall.
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