„Romeo und Julia“ von Caroline Finn am Musiktheater Linz

„Romeo und Julia“ von Caroline Finn am Musiktheater Linz: Ensemble

Liebes-Tod zwischen Strommasten

„Romeo und Julia“ von Caroline Finn am Musiktheater Linz

Zeitgenössische Ästhetik trifft auf Klassiker in der Inszenierung von Caroline Finn am Musiktheater Linz. Die Musik von Prokofjew bleibt, doch was macht der Tanz?

Linz, 03/11/2023

Das kleine Tanz-Ensemble am Musiktheater Linz fährt einen beeindruckenden und gleichermaßen riskanten Kurs in Sachen Klassiker-Bearbeitung. Im wohl best ausgestatteten und modernsten Theater Österreichs traut die Leiterin Roma Janus ihrem Publikum mit ihren 16 sehr divers zusammengestellten Tänzer*innen Versuche von ästhetischer Zeitgenossenschaft zu, die in veritablen Spielserien – aktuell 12 Vorstellungen für „Romeo und Julia“ – präsentiert werden. Und 1000 Plätze wollen gefüllt sein.

Das große, in Linz starke Opern- und Musical-Publikum lockt das Theater über bekannte Titel und Musik an und installiert gleichzeitig auf einer kleineren Bühne individuellere Formen. Der große Trumpf in der Stadt an der Donau ist das flexible und klangstarke Bruckner-Orchester, das sich unter Marc Reibel auf penible Kürzungen großer Partituren einlässt. Damit kommt es dem aktuellen Hang der Choreograf*innen nach, ohne Pause zügig durchzuinszenieren. Nach dem aus heutiger Sicht verunglückten Versuch einen „Schwanensee“ zu re-inszenieren und einer wohl geglückten humorvollen Sicht auf ein „Dornröschen“ von heute steht im dritten Jahr dieser Direktion Sergej Prokofjews „Romeo und Julia“ auf dem Spielplan. Die Engländerin Caroline Finn, die derzeit vor allem in der Schweiz tätig ist, legt über die Shakespearesche Familien-Fehde durchaus geschickt das Klimawandel-Thema: Um uns herum und gleichermaßen in uns.

Mit Rasenmähern und Spraydosen zur Insekten-Vernichtung ziehen die Montagues in grüner und die Capulets in roter Casual-Kleidung (Kostüme: Catherine Voeffray) zwischen Strom-Masten und verdorrten Bäumen (Bühne: Till Kuhnert) ihre abgezirkelten Routen. Laut Programmheft sind damit auch Eltern gemeint, die ihren Kindern alle Probleme aus dem Weg räumen. Aus dem versöhnlichen Pater Lorenzo der Originalfassung wird in dieser 90-Minuten-Version der Imker (Ilia Dergousoff). Ihn begleitet zwar noch ein verebbendes Insekten-Summen, in der Hauptsache aber sammelt er tote Vögel ein und befördert menschliche Leichen: Ein letzter Garant für eine humanistische Komponente inmitten eines Figuren-Panoptikums zwischen Abgestumpftheit und Verharren aber auch Hektik, Zerfahrenheit und Explosionsgefahr.

Ist in solch einer Gefahrenlage einer kaputt gehenden Welt Liebe noch möglich sein? Finns zeitgenössische Tanzsprache in Kooperation mit den sich verausgabenden, überzeugenden Tänzer*innen (hervorstechend: Sofia Bisci, die alternative Julia) macht einen dichten szenischen Rahmen möglich, in dem die Zuschauenden sich zurechtfinden können. Die innerfamiliären Zusammenhänge der beiden Clans erahnt man in dieser Inszenierung nur mehr, deutlich erkennt man den provozierenden Mercutio mit Ohrring, herausgestreckter Zunge und kurzer Hose (betörend: Pedro Tayette) und den eher verhalten beleidigt reagierenden Tybalt im langen Hosenrock (Arthur Sicilia). Romeo (Lorenzo Ruta) schält sich allmählich aus den Wirren der beiden Gruppen. Wie dieser mit Julia (geschmeidig: Fleur Wijsman), die zuvor lange an ihrer Bluse nestelt, nach langem Fiebern zum Paar wird, rührt wegen der scheinbaren Unbeholfenheit der Unerprobten an. Dann aber, in den Prokofjewschen programm-musikalischen Szenen des Titelpaars, findet Finn mit Ruta und Wijsman zu den eindringlichen durchgetanzten, von Hebefiguren durchsetzten Tanz-Duetten, welche die Musik nun einmal verlangt. Dass trotzdem Emotionalität kaum aufflammt – sie bleibt Mercutio vorbehalten – mag dem Bild dieser surrenden funktionierenden Inszenierung geschuldet sein.

Nächste Vorstellungen am Musiktheater Linz: 17. und 22. November, 12. Dezember.

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